Die Tour de France 2018 ist gestartet

Eine Rundfahrt zu Heroen und Heiligen

Am Samstag startet die 105. Auflage der Tour de France. Abseits des sportlichen Wettstreits und der unvermeidlichen Dopingaffären ist das berühmteste Radrennen der Welt auch eine Art Visitenkarte des Nachbarlandes.

Autor/in:
Alexander Brüggemann und Joachim Heinz
Die Tour de France beginnt... / © Christophe Ena (dpa)
Die Tour de France beginnt... / © Christophe Ena ( dpa )

Man kann sich dem "Mythos" Tour de France über Zahlen nähern: 3.351 Kilometer in rund drei Wochen haben die mehr als 170 Fahrer zu bewältigen, darunter gut zwei Dutzend Pässe oder steilere Auffahrten. Tausende Polizisten und Feuerwehrleute sind im Einsatz, bis zu zwölf Millionen Zuschauer stehen an der Strecke, in 190 Länder wird das sportliche Mega-Event übertragen.

Einladung das Nachbarland kennenzulernen

Man kann die berühmteste Rundfahrt der Welt – ausgetragen seit 1903 – aber auch ganz anders wahrnehmen: als Einladung, kleine und große Sehenswürdigkeiten des Nachbarlandes kennenzulernen, als Streifzug durch Geschichte und Kultur – kurzum: als Visitenkarte der "Grande Nation".

Asphaltpisten spielen bei einem Straßenradrennen naturgemäß eine zentrale Rolle. An den spektakulärsten Passagen führen sie steil in die Höhe, in Kehren hinauf nach Alpe d'Huez oder auf das "Dach" der diesjährigen Tour, den 2.215 Meter hohe Col du Portet in den Pyrenäen. Oder auf den Col de Glieres in den Alpen, nahe der Grenze zur Schweiz.

Dort lieferten sich Anfang 1944 französische Widerstandskämpfer heftige Kämpfe mit den deutschen Besatzern. Ein weithin sichtbares Denkmal auf dem Hochplateau erinnert an diese Episode, die sich zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Schatten mächtiger Alpengipfel abspielte.

Gedenken an den Ersten und Zweiten Weltkrieg

Mit Mouilleron-Saint-Germain ist bereits zu Beginn der zweiten Etappe das Gedenken an den Ersten und Zweiten Weltkrieg verknüpft. Aus dem kleinen Ort in der Vendee stammen sowohl Georges Clemenceau, Ministerpräsident von 1906 bis 1909 und von 1917 bis 1920, als auch Jean de Lattre de Tassigny, der mit der französischen Befreiungsarmee am Ende des Zweiten Weltkriegs Südwestdeutschland eroberte.

Weiter geht es für die Radfahrer durch das platte Land westlich von Paris. Felder, Wiesen, mal ein Baum: ganz viel Landschaft, aber nichts, woran sich das Auge festhalten könnte. Bis, plötzlich und buchstäblich unerwartet, am Horizont etwas ist. Schon aus 20 Kilometern Entfernung können die Fahrer die Kathedrale von Chartres sehen: ein Gebirge. Seit 1979 steht die frühgotische Bischofskirche auf der Liste des Weltkulturerbes.

Durch die Geburtsstadt von Macron

Ein paar Tage später erreicht der Tross der Tour mit Amiens die Geburtsstadt eines aktuellen politischen Hoffnungsträgers, Emmanuel Macron. In Amiens starb übrigens auch Jules Verne, der Vater der Science Fiction. Ein hübscher historischer Zufall in der langen Geschichte der Hauptstadt des Departements Somme, die schon 700.000 Jahre alte Siedlungsspuren aufzuweisen hat.

In römischer Zeit soll der heilige Martin hier seinen Mantel mit einem Bettler geteilt haben. Die Kathedrale von Amiens ist der größte Sakralbau Frankreichs aus dem Mittelalter – und das will schon etwas heißen. Spuren des Mittelalters finden sich auch im letzten Drittel der Tour.

In Carcassonne und Umgebung sausen die Fahrer durch das Land der Katharer. Schade, dass sie es so eilig haben - denn hier gibt es weiß Gott eine Menge zu erkunden. Wo vor 800 Jahren ein Religionskrieg tobte, liegen bis heute einige der "schönsten Dörfer Frankreichs" auf der "Route der Katharer", so der Name zweier bekannter Touristik-Labels.

Eine Etappe startet ab Lourdes

"Maria hat geholfen" – wer aus dem Peloton wird das am Ende von sich sagen können, wenn es zum krönenden Schluss der diesjährigen Tour de France in die Pyrenäen geht? In Lourdes soll 1858 die Muttergottes einem armen Hirtenmädchen erschienen sein. Das hat dem kleinen Nest am Flüsschen Gave die landesweit zweitgrößte Zahl an Hotelbetten beschert - nach Paris.

Die vorletzte Etappe startet am 28. Juli von Espelette im äußersten Südwesten. Das ist der Ort, wo in Frankreich der Pfeffer wächst. Das 2.100-Einwohner-Städtchen im französischen Baskenland ist ein Mekka für Gourmets. Die hiesige Paprika – Piment d'Espelette –, spätestens seit dem 17. Jahrhundert hier angebaut, ist hochgeschätzt.

Wenn die Tour dann am letzten Tag Richtung Paris rollt, um auf den Champs-Elysees die Sieger zu krönen, starten die Fahrer in Houilles. Berühmtester Sohn der 30.000-Einwohner-Stadt im Departement Yvelines ist eine gewisser Victor Schoelcher, der 1848 erfolgreich für die Abschaffung der Sklaverei in Frankreich und seinen Kolonien kämpfte.

Mit Sklaven beziehungsweise zu Zwangsarbeit verurteilten Strafgefangenen verglich der Journalist Albert Londres in den 1920er-Jahren die Fahrer der Tour de France. Für Aufsehen sorgte Londres mit einer Art Doping-Beichte der damaligen Radsport-Heroen Francis und Henri Pelissier. Plötzlich ist man wieder ganz nah an den düsteren Begleitumständen des aktuellen Spitzensports.

 

Quelle:
KNA