Die Tomaten reifen

Verführung wie im Paradies

Rot leuchtet es aus Beeten und Töpfen, unter regensicherem Plastikdach oder vom Balkon: Die Tomaten sind reif. Auf der Liste beliebter Gemüse stehen sie bei den Deutschen ganz oben. Mit knapp 22 Kilo pro Haushalt und Jahr hat sich ihr Verbrauch in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Dank der Treibhaustomate. Mittlerweile hat diese aber Konkurrenz bekommen durch viele alte Sorten. Dank der Gärtner.

Tomatito de Jalapa / © St.Q.
Tomatito de Jalapa / © St.Q.

„Vorsprung durch Tomate“ hieß in den Achtziger Jahren die Kampagne einer bekannten Fastfood Kette und machte sich damit lustig über eine Automarke. Die warb mit: „Vorsprung durch Technik“. Auf dem Weg zur Pole Position der Gemüse gab bei der Tomate jedenfalls die Technik das Tempo vor. Alles, was den reibungslosen Ablauf störte, blieb auf der Strecke. Und damit die meisten alten Sorten, da sie weder so ertragreich noch so transportfähig waren wie die hochgezüchteten aus dem Treibhaus. Dabei gibt es weltweit fast 10.000 Sorten:

Vom Wuchs her unterscheidet man Johannisbeertomaten, Cocktailtomaten, Stab- und Fleischtomaten. Der Form nach Eiertomaten, Flaschentomaten, Trauben- oder Pflaumentomaten. Die Farbpalette reicht von grün über weiß, goldgelb, orange, rosa, dunkelrot, violett bis schwarzrot. Der Geschmack von zitronensauer bis zuckersüß.

Kolumbus war der erste Importeur

Doch gerade mal eine Handvoll Sorten findet man im Handel. Und die sind zu 94 Prozent importiert. Nein. Genau genommen sind es 100 Prozent. Denn ein gewisser Kolumbus hat die ersten Tomaten um 1500 von seinen Entdeckungsreisen aus Mittelamerika mitgebracht. Dort sind die Wildformen von Nordchile bis Venezuela verbreitet und die alten Maya haben schon 200 vor Christus „xitomatl“, also „Schwellfrüchte“ angebaut. Kolumbus schwärmte 1492 in seinem Bordbuch:

„Ich kann mich an einer so wundersam schönen und von der unseren so verschiedenartigen Vegetation nicht satt sehen. Meines Dafürhaltens gibt es auf diesen Inseln viele Kräuter und Pflanzen, die man in Spanien sehr zu schätzen wissen wird, ..., die man zu Heilzwecken oder als Gewürze verwenden kann.“

Des Teufels Paradeiser

In Europa angekommen, hatte es die Tomate allerdings erst mal schwer. Sie kam aus einer schlechten Familie: Sie ist ein „Nachtschattengewächs“ und dazu gehören neben der Kartoffel schließlich auch Giftpflanzen wie Stechapfel und Tollkirsche. Vor allem aber war sie rot und rund! So viel Sinnlichkeit musste vom Teufel sein. Im Alpenraum heißt die Tomate bis heute Paradeiser, also Paradiesapfel. Und verweist so auf jene Frucht, mit der Eva den armen Adam verführt hat. Tatsächlich war es jungen Mädchen bis Anfang des 19. Jahrhunderts verboten, Tomaten zu essen. Das Gemüse stand unter Verdacht, Liebeswahn hervorzurufen.

Einen Liebesrausch fürchtet heute keiner mehr. Das Gift Solanin, das in Stängeln, Blättern und unreifen Früchten enthalten ist, sollte man aber schon ernst nehmen. Und Geduld bewahren. Denn reif wandelt sich die Frucht vom Gift zum Heilmittel. Das Lycopin, das sonnengereiften Tomaten ihre Farbe schenkt, hat vielfältige positive Wirkung auf die Gesundheit: Vorbeugend soll es bei bestimmten Krebsarten und Herz-Kreislauferkrankungen helfen.

Im Winter ist es gesünder Dosentomaten zu essen als halbreif geerntetes Treibhausgemüse, denn der Reichtum an Vitaminen und Mineralstoffen steckt vor allem in den vollreifen Früchten. Aber noch können wir sie frisch genießen, die Paradeiser. Und viele alte Sorten sind wieder zu haben.

Große Auswahl alter Sorten

´Costoluto´, also „die Gefaltete“, eine Fleischtomate, die quer aufgeschnitten kalte Platten mit roten „Blumen“ schmückt. ´Green Zebra´ eine Stabtomate, die auch reif ihre grüne Grundfarbe behält. Es gibt die Sortengruppe der „Ochsenherzen“, die bis zu einen Kilogramm wiegen. Und die nur ein bis drei Gramm leichten Johannisbeertomaten, die an den Küstengebieten Chiles und Perus beheimatet sind und ohne Ausgeizen kultiviert werden können.

Die meisten Tomaten sind auch im Kübel glücklich. Hauptsache, die Verpflegung stimmt: Humoser, gut gedüngter, kalkhaltiger Boden und reichlich Wasser. Das aber nur auf die Erde gießen und nicht auf die Blätter. Sonst kann die Tomate Kraut- und Braunfäule bekommen. Schon fünf Stunden Blattfeuchtigkeit reichen, um sie auf den Plan, also auf das Blatt zu rufen.

Regengeschützte Balkonbesitzer sind hier eindeutig im Vorteil. Auch im Garten hilft zuverlässig nur eine Überdachung. Die Tomate braucht also schon Voraussetzungen wie im Paradies. Kein Wunder – denn von dort kommt sie ja schließlich her. (Claudia Vogelsang)