Die Spannungen an der Grenze zwischen Nord- und Südsudan steigen

Flucht nach Süden

Schon bevor die Panzer der sudanesischen Armee kamen, packten die ersten Bewohner in Abyei ihre Habseligkeiten: Die Menschen an der Grenzregion zwischen dem Norden und dem Süden des Sudan kennen die Zeichen. Über 20 Jahre waren sie in der Schusslinie eines blutigen Bürgerkriegs.

Autor/in:
Bettina Rühl
 (DR)

"Die Bevölkerung ist auf dem Weg nach Süden", erläutert Gustavo Fernández von der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen". Rund sieben Wochen vor der Unabhängigkeit des Südsudans erhöhen sich die Spannungen in gefährlicher Weise.



Am Samstag nahmen die Truppen von Sudans Präsident Omar al-Baschir mit schweren Waffen und Panzern die Stadt Abyei ein. Am Montag plünderten nach UN-Berichten bewaffnete, wahrscheinlich nordsudanesische Kräfte die Häuser und setzten sie in Brand. Am Dienstag trat ein südsudanesischer Minister aus der Zentralregierung wegen der Einnahme der Stadt zurück. Al-Baschir kündigte an, seine Truppen nicht abzuziehen.



Sorge um Kinder

Als das Team von "Ärzte ohne Grenzen" am Samstag aus Abyei floh, "gab es in der Stadt schon keine Zivilisten mehr", berichtet Fernandez. Die Ärzte machten sich auf den Weg in die südlich gelegene Stadt Agok, um das dortige Team zu verstärken. Doch auch in Agok wiederholte sich wenig später das Bild: Wegen der steigenden Spannungen mussten die 15 internationalen Ärzte am Montag auch diese Stadt evakuieren. "Da hatten die meisten Zivilisten auch Agok schon verlassen."



Die Berichte Fernández" zeichnen eine Region im Krieg. Die Menschen fliehen weiter Richtung Süden, in die Stadt Turalei. "Ärzte ohne Grenzen" hat entlang der Straßen mobile Kliniken eingerichtet. "Vor allem der Gesundheitszustand der Kinder verschlechtert sich besorgniserregend", sagt Fernández.



Auch das Welternährungsprogramm (WFP) sucht nach Wegen, die Bevölkerung zu unterstützen. "Die gegenwärtigen Spannungen machen unsere Arbeit noch schwieriger, als sie im Südsudan ohnehin schon ist", sagt Leo Van der Velden, Regionalleiter des WFP im Südsudan. Der Ausbruch der Gewalt in Abyei komme jedoch "nicht unerwartet". Auch das WFP hat sein Büro weiter nach Süden verlegt.



Wachsende Nervosität

Man habe sich seit dem Referendum im Januar, bei dem sich die Südsudanesen mit überwältigender Mehrheit für ihre Unabhängigkeit aussprachen, auf den möglichen Ausbruch neuer Spannungen vorbereitet, erläutert Van der Velden. Auch auf Tausende Menschen auf der Flucht. "Wir haben an mehreren Punkten in der Nähe der Grenze zwischen Nord- und Südsudan Vorräte angelegt."



Angespannt sei die Lage auch in manchen Regionen des Südsudan. Vor allem in den grenznahen Staaten Unity und Jonglei rechnen die Helfer immer mit Angriffen durch Milizionäre, und mit Landminen. In Jonglei ist die wichtigste Straße vermint, so dass die Nahrungsmittel dort nur mit Hubschraubern und Flugzeugen verteilt werden können. "Es gibt sowieso kaum Straßen im Südsudan", sagt Van der Velden. "Es ist bitter, wenn die wenigen, die es gibt, dann noch wegen Minen nicht benutzt werden können."



Noch weiter im Süden halten sich die Hilfsorganisationen mit Berichten über die Lage in der Grenzregion zurück. Doch bei immer mehr Südsudanesen mischt sich die Freude über die baldige Unabhängigkeit mit wachsender Nervosität.