Es war ein Projekt wie die Mondlandung: die Kartierung des genetischen Bauplans des Menschen. Die Identifizierung aller Gene auf dem etwa 3,2 Milliarden Buchstaben umfassenden DNA-Faden der 23 Chromosomen. Ein unvorstellbar langer "Text", der etwa 3.000 Bücher füllen würde, jedes Buch mit 1.000 Seiten a 1.000 Buchstaben. Sie bilden sozusagen die Software des Lebens.
Und es war ein dramatischer Wettlauf der Wissenschaftler, wer als erster die Lorbeeren beanspruchen könnte. Am 12. Februar 2001, vor 20 Jahren, veröffentlichten die beteiligten Forscher schließlich gemeinsam in den Fachjournalen "Science" und "Nature" die Ergebnisse des "Human Genome Projects" ("Hugo").
Einträchtiger Marathonlauf
Begonnen hatte der Marathonlauf einträchtig am 14. September 1990: als ein öffentliches, vorwiegend amerikanisches Großforschungsprojekt. Schnell wurde daraus ein loser Verbund von Arbeitsgruppen aus mehr als 30 Ländern. Rund 60 Prozent übernahmen Zentren in den USA. Auf britische Wissenschaftler entfiel ein Viertel der Aufgabe. An die verbleibenden Sequenzen machten sich vornehmlich Genomforscher aus Frankreich, Japan, China und Deutschland. Bis 2005 sollte die Arbeit erledigt werden. Die Gesamtkosten: rund 3 Milliarden Dollar.
Schnell war es allerdings mit der Einigkeit vorbei. Der US-Wissenschaftler Craig Venter, zunächst Teil des Forschungsprojekts, kündigte 1998 an, das Genom mit seiner Firma Celera Genomics im Alleingang zu entschlüsseln - mit einer viel schnelleren, aber nach Auffassung vieler Wissenschaftler ungenaueren Technik, der sogenannten Schrotschuss-Methode.
Venter, nicht nur ein exzellenter Forscher, sondern auch ein PR-Profi, setzte auf die geballte Rechenkraft seiner Computer: Nicht mit Enzymen, sondern mit mechanischer Gewalt (Ultraschall) zerlegte er die DNA in Schnipsel, die anschließend mithilfe immenser Rechnerleistung analysiert und wieder zusammengesetzt wurden. Ein Wettlauf um Geld und Ehre, bei dem Celera Genomics den Vorteil hatte, Zugang zu den Daten der Konkurrenz zu haben. Umgekehrt teilte Venter seine Erkenntnisse nicht.
Am 26. Juni 2000 hatte er es geschafft. Der Rebell, der der Wissenschaft Beine machen wollte, stand im Weißen Haus neben US-Präsident Bill Clinton und verkündete die Entzifferung des menschlichen Genoms - allerdings nur in einer Arbeitsversion. In der wissenschaftlichen Community gilt nämlich nicht die aufsehenerregende Inszenierung im Weißen Haus als Stichtag für die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, sondern vielmehr die Veröffentlichung vom Februar 2001. Denn sie hatte zuvor einen wissenschaftlichen Begutachtungsprozess durchlaufen. Der von Venter verkündete Durchbruch genügte nicht den strengen wissenschaftlichen Standards.
Die Ergebnisse des Projekts waren verblüffend: Es zeigte sich, dass dieser "Text" bei allen Menschen zu 99,9 Prozent identisch ist. Zudem stellte sich heraus, dass der Mensch nur etwa rund 25.000 Gene besitzt, nur doppelt so viele wie eine Fruchtfliege. Doch wie erklärt sich dann die ganze Komplexität des Homo Sapiens?
Vollständig entziffert
Seit 2003 gilt das menschliche Genom als vollständig entziffert. Heute können schnelle Computer das Erbgut jedes Menschen in wenigen Stunden lesen. Für einige Krankheiten identifizierten Forscher die verantwortlichen Gene; so führte beispielsweise die Kenntnis genetischer Komponenten von Alzheimer und Diabetes zu gezielteren Behandlungsmöglichkeiten.
Allerdings: Krankheiten, die durch ein einzelnes Gen verursacht werden, kommen selten vor. Bis das Zusammenspiel der Gene verstanden ist, wird es wohl noch Jahrzehnte brauchen. Eine Tür wurde aufgeschlossen, doch dahinter verbergen sich viele neue verschlossene Türen, beschreibt die Chemikerin Friederike Fehr vom Max-Planck-Institut in Göttingen den Stand der Forschung. Wie werden Gene reguliert, und was bewirken die von ihnen produzierten Proteine?
Welche Informationen stecken zwischen den Genen? Was zunächst als Datenmüll oder Junk bezeichnet wurde, gilt als zusätzliche Informationsebene.
US-Präsidenten Bill Clinton sagte im Jahr 2000: "Jetzt lernen wir die Sprache, mit der Gott das Leben erschuf." Heute ist klar, dass dazu noch viele Vokabeln fehlen.