Die Situation der Christen in Syrien

"Wir wollen hier bleiben, hier ist unsere Heimat"

Nach offiziellen Angaben gibt es mehr als 2,5 Millionen Christen in Syrien. Nach Schätzungen der syrisch-orthodoxen Kirche lebt bereits eine Million davon im Ausland. Je mehr sich der aktuelle Konflikt zuspitzt, desto mehr fühlen sich die Christen vom Westen unverstanden und vergessen.

Autor/in:
Karin Leukefeld
 (DR)

"Das Maalula der Kultur und Geschichte heißt Sie willkommen", steht auf einem Schild, wenn man sich dem kleinen Ort 50 Kilometer nördlich von Damaskus nähert. Dann führt die Straße auf etwa 1.600 Meter Höhe durch einen doppelten Torbogen, der einer historischen Burganlage ähnelt. Zwischen zwei Fenstern im oberen Eingangsbogen winkt von einem Bild Baschar al Assad. Von 137 UN-Mitgliedstaaten verurteilt, von Europa und den USA zum Rücktritt aufgefordert, von syrischen Oppositionellen als "Schlächter seines eigenen Volkes" beschimpft, scheint der syrische Präsident weltweit isoliert. Doch hier in Maalula ist Assad nicht allein. Hier hat er Wähler auf seiner Seite.



Maalula ist ein aramäisches Wort und bedeutet "Tor". Zwei Drittel der hier lebenden 5.000 Einwohner sind melkitische, also mit Rom unierte, und griechisch-orthodoxe Christen. Sie leben Tür an Tür mit ihren muslimischen Nachbarn, die freilich, weil sie mehr Nachwuchs erzeugen als die Christen, nun schon die zweite Moschee im Ort gebaut haben. Die Sprache der "Maalulis", wie sie sich nennen, ist ein Dialekt des Aramäischen, das eineinhalb Jahrtausende Amtssprache im Nahen und Mittleren Osten war. Auch Jesus Christus soll diesen Dialekt gesprochen haben.



Eingebettet in den alten Ortskern von Maalula schmiegt sich das Thekla-Kloster an die steilen Felswände des Kalamun-Gebirges. Nach dem Sonntagsgottesdienst treffen sich hier die jungen Leute auf der Terrasse des Konvents, in dem 15 Nonnen leben und ein Waisenhaus mit

30 Kindern betreuen.



"Die Wahabiten machen unser Land unsicher", ist die Äbtissin des Ordens der heiligen Thekla überzeugt. Maalula sei ruhig, doch aus Homs und Qusair an der libanesischen Grenze, wo seit Jahrhunderten christliche Gemeinden zu Hause seien, habe man Schreckliches gehört. Nachdem sie anfänglich versucht hatten zu vermitteln, mussten Hunderte Familien aus Qusair fliehen. Tausende Christen aus Homs zogen in ihre Heimatdörfer, die zwischen der Industriestadt und der Mittelmeerküste im "Tal der Christen" liegen. Kirchen wurden von bewaffneten Kämpfern eingenommen. Christen, die sich nicht auf die Seite der "Revolution" stellen wollten, seien beschimpft und bedroht worden.



Weniger Besucher kommen

Von alledem ist in Maalula nichts zu spüren. Durch eine schmale Schlucht windet sich die Straße steil auf das Felsplateau, wo Mar Sarkis liegt, das Kloster des heiligen Sergius. Archäologen vermuten, dass die Klosterkirche zwischen 313 und 325 auf den Resten eines Tempels erbaut wurde. In direkter Nachbarschaft steht das Maalula Hotel; doch der große Parkplatz ist leer. Auch Kloster und Kirche liegen verlassen. Nur der alte Vater Faiz sitzt mit einer kleinen Schar Mitarbeiter bei einer Tasse Tee zusammen.



Eine der Mitarbeiterinnen schließt einen Raum auf, in dem Postkarten und bemalte Kacheln, Rosenkränze und Häkeldeckchen, Holzarbeiten, Bücher und Filmkassetten über Maalula auf Käufer warten. An der Wand hängt eine Statistik, die seit dem Jahr 2000 jährlich Zahl und Nationalität der Besucher festhält. Aus Deutschland kamen 2010 noch mehr als 20.000 Besucher. Doch im vergangenen Jahr sank diese Zahl auf 4.438; seit April kommen gar keine Touristengruppen mehr.



"Aber sehen Sie hier: Das Land, aus dem die meisten unserer Besucher kommen, ist der Iran", sagt Vater Faiz. 2010 waren es mehr als 61.000 - und selbst im Unruhejahr 2011 rund 37.000. Erst nachdem Busse von Aufständischen angegriffen worden waren, wurden die Visa für iranische Pilger deutlich reduziert. Zuletzt wurde der Imam der schiitischen Ruqayya-Moschee in der Altstadt von Damaskus ermordet. "Die Schiiten sind sehr religiöse Menschen", erklärt Vater Faiz die hohe Zahl iranischer Besucher: "Sie lieben die Atmosphäre in unseren Kirchen und Klöstern." Einmal habe er gesehen, wie einem alten Ehepaar, das andächtig dem Vaterunser auf Aramäisch lauschte, Tränen der Rührung über das Gesicht flossen.



Je mehr sich der Konflikt zuspitze, desto mehr schienen die westlichen Kirchen die Christen in Syrien zu vergessen, meint Vater Faiz. "Der Vorschlag von Monsieur Sarkozy, die syrischen Christen sollten in den Libanon oder nach Europa gehen, zeigt, dass man uns gar nicht versteht. Wir wollen hier bleiben, hier ist unsere Heimat."