Die Probleme aufarbeiten

Verspielte Glaubwürdigkeit?

Missbrauch oder Lebensschutz: Verliert die Kirche in einem Punkt das Vertrauen, tut sie das auf allen Ebenen. DOMRADIO.DE-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen meint: Um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen braucht die Kirche einen Befreiungsschlag.

 (DR)

Eigentlich ging es in der ARD-Sendung ‚Hart aber Fair‘ um das Thema Sterbehilfe. Doch dann kam unweigerlich auch die Frage, bei der die Kirche nicht mehr ausweichen kann: Zur besten Sendezeit im Ersten, vor einem Millionenpublikum, gerichtet an den ersten Mann der Katholischen Kirche in Deutschland, den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing: „Die Gesellschaft bewegt sich weiter… Wie fühlt sich das an, wenn man als Katholik – als Einziger zurückbleibt…?“ Vermutlich hätten viele engagierte Katholiken die Frage von Frank Plasberg hart und ehrlich mit einem: „Das fühlt sich ziemlich beschissen an!“, beantwortet. Aber als Bischof darf Bätzing solche Worte natürlich nicht in den Mund nehmen. Provozieren lassen darf man sich vor laufenden Kameras schon gar nicht, also versuchte er, Zeit zu gewinnen: „Wir sind als Katholiken gewohnt, dass wir in bestimmten Fragen langsam sind…“ Plasberg grätschte hart und gerade noch fair dazwischen: „Man könnte das auch anders sagen: Sie lassen keine Frauen ins Priesteramt, Sie tun sich mit der homosexuellen Ehe schwer, die Frage der Sterbehilfe ist bei Ihnen hart wie Beton, die Aufarbeitung der sexuellen Übergriffe – um es mal freundlich zu sagen – holpert. Woher nehmen Sie noch den Anspruch, das moralische Denken einer Gesellschaft mit zu bestimmen?

Es war der Moment, in dem jeder sah, dass es derzeit kein Vergnügen ist, oberster Vertreter der katholischen Bischöfe zu sein. Bätzing versuchte dann auch gar nicht mehr auszuweichen: „In der Tat, Sie haben vollkommen recht, es gibt ganz viel, das die Glaubwürdigkeit der Kirche sehr in Zweifel ziehen lässt…

Genau hier liegt das Problem: Die katholische Kirche kann eigentlich sagen, was sie will, ihre Stimme wird immer weniger gehört. Ganz egal, ob sie kluge Antworten zum Lebensschutz, zum Schutz des bedrohten Weltklimas, zur Bekämpfung der Armut, zu Frieden und Gerechtigkeit gibt – die Gesellschaft winkt dankend ab und sagt: „Bringt Ihr erstmal Euren eigenen Laden in Ordnung, bevor ihr uns kluge Ratschläge gebt!“ Gerade aber beim Kernthema, das alle Themen seit Jahren überlagert, der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs, ist der Laden Kirche leider viel zu wenig in Ordnung! Hier braucht es endlich Klarheit und Wahrheit. Und einen Befreiungsschlag, der Kirche wieder glaubwürdig macht. Sonst sitzen katholische Bischöfe vielleicht noch in der ersten Reihe – aber auf völlig verlorenem Posten.



Ihr Ingo Brüggenjürgen Chefredakteur DOMRADIO.DE

PS: Dieses Jahr im Advent ist wegen Corona alles anders. Aber auf Ihren „guten Draht nach oben“ brauchen Sie natürlich nicht zu verzichten. Wir haben wie gewohnt ein inhaltlich ansprechendes Programm für Sie vorbereitet. Von der schönsten Adventsmusik in unserem Morgenimpuls mit Schwester Katharina jeden Morgen um 6 Uhr bis zum Nachtgebet mit Weihbischof Ansgar Puff am Abend um 22 Uhr. Und auch die Worte aller deutschen Diözesan-Bischöfe zum Advent fehlen in diesem Jahr natürlich nicht – ob im Radio oder als Video auf DOMRADIO.DE!