Die Pilgerhochburg ist Menschenauflauf gewohnt

Altbunzlau wartet gelassen

Ein Minibus spuckt Bauarbeiter im Blaumann aus, die gerade ihre Mittagspause beenden. Ihnen ist das Tor vor der Basilika des heiligen Wenzel im mittelböhmischen Stara Boleslav (Altbunzlau) nicht versperrt. Es gilt, letzte Hand anzulegen an der Kirche unweit der Elbebrücke. In einer Woche, am 28. September, kommt Papst Benedikt XVI. im Rahmen seines Tschechien-Besuchs.

Autor/in:
Hans-Jörg Schmidt
 (DR)

In dem verträumten Ackerbürgerstädtchen unweit von Prag merkt man allerdings noch nicht viel von der bevorstehenden Visite. Die kleinen Läden am Marienplatz und am benachbarten Wenzelsplatz weisen nicht darauf hin. Die Bäcker backen keine "Papstbrötchen", sondern wie immer "Kaiserbrötchen". Im Straßencafe eines nahen Einkaufsparks tratschen junge Frauen über alles Mögliche. Der Papstbesuch aber ist kein Thema.

"Ja, es ist schön, dass er kommt, aber wir sind Auflauf von Gläubigen gewöhnt", meint eine der Frauen mit ihrem Baby auf dem Arm. Tatsächlich pilgern jedes Jahr Zehntausende im Herbst nach Stara Boleslav. Diesen "Auflauf" gibt es seit Jahrhunderten: an jedem 28. September zu Ehren des heiligen Wenzel, des böhmischen Fürsten, der im Jahr 935 von seinem Bruder Boleslav gemeuchelt und so zum Märtyrer wurde. Wenzel ist der Schutzpatron Böhmens.

So eine Sache mit dem Glauben
Mit dem Glauben in Böhmen ist es - anders als im traditionell katholischen mährischen Landesteil Tschechiens - so eine Sache. Laut Statistik bekennt sich gerade mal ein Drittel der Tschechen zu Gott. Die Ursachen für diese Säkularisierung reichen weit in die Geschichte zurück. Da sind vor allem die unguten Erinnerungen an die Zeit, als die böhmischen Länder 300 Jahre lang unter der Herrschaft der katholischen Habsburger lebten - und die die Tschechen bis heute als "temno", die "Zeit der Finsternis", betrachten. Die 1618 verlorene Schlacht der protestantischen böhmischen Stände am Weißen Berg - heute ein Außenbezirk Prags - gilt als das größte nationale Trauma. Danach setzte eine teils gewaltsame Rekatholisierung ein, die auch den nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen der Tschechen Grenzen setzte.

Nach der "Samtenen Revolution" von 1989, die der kommunistischen Kirchenverfolgung ein Ende setzte, hoffte die katholische Kirche auf neuen Zulauf. "Doch das war eine etwas naive Sicht", räumt der Prager Kardinal Miloslav Vlk ein. Tschechien habe sich in der Folge in eine Richtung entwickelt, der es an der "moralischen Komponente" mangele. In Stara Boleslav aber hat der Kardinal seit Jahren bei den Wenzel-Pilgern, die auch besonders die Jungfrau Maria verehren, ein "Heimspiel". Der Papst wird dort auf viele, vor allem junge Gläubige treffen, die in einer materiell ausgerichteten Gesellschaft nach ideellem und moralischem Halt suchen.

"Das ist für uns ein ganz großer Feiertag"
Derzeit findet man am Eingang von Kilian Ignaz Dientzenhofers Barockkirche Maria Himmelfahrt in der Stadtmitte vor allem ganz praktische Dinge: etwa ein zweiseitiges Merkblatt, auf dem die umfangreichen Straßensperrungen für den Papstbesuch aufgelistet sind. Wer klug ist, so kann man herauslesen, steht am 28. September in aller Frühe auf, um sich einen guten Platz auf dem ab 4 Uhr morgens zugänglichen Messgelände an der Elbe zu sichern. Rund 30.000 Karten sind bereits verteilt; doppelt so viele Menschen sollen auf dem Gelände Platz finden.

Die Schwestern der benachbarten Caritas-Einrichtung werden sicher zu den ersten gehören, die am 28. September ihre Plätze einnehmen. "Das ist für uns ein ganz großer Feiertag", sagen zwei von ihnen, die zur Mittagsstunde am Marienplatz Blumen kaufen. "Uns irritiert lediglich, dass der Papst Englisch oder Latein reden will. Er ist doch ein Deutscher und muss sich dafür nicht schämen. Viele Tschechen verstehen die Sprache unserer Nachbarn", sagen sie. Sorgen wegen alter Ressentiments seien übertrieben. "Wenn er Deutsch spräche, kämen vielleicht auch viele aus dem nahen Bayern und aus Sachsen zu uns. Wir freuen uns hier über jeden Besucher."

Besondere Vorbereitungen treffen derzeit auch die Glasbläser im mittelböhmischen Nizbor. Sie fertigen die Messgefäße, die Benedikt XVI. in Altbunzlau von Kardinal Vlk als Geschenk überreicht bekommen soll - wie schon 1997 die Gefäße für Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. (1978-2005). Der Papst aus Polen gilt auch in Tschechien als ein Wegbereiter für die friedlichen Revolutionen in Mittel-Osteuropa 1989. Sein Nachfolger kann nun bei seinem Besuch bereits den 20. Jahrestag des kommunistischen Zusammenbruchs würdigen.