Die NS-Weihnachtssendung 1942 - Ein Meisterstück der Propaganda

"Hier ist die Front an der Wolga"

Das ging unter die Haut vor 75 Jahren: Die Weihnachtsringsendung vom 24. Dezember 1942 war ein Meisterstück der Nazi-Propaganda. Sie schlug die Brücke zwischen den Fronten und der Heimat. Auch Christliches wurde aufgerufen. 

Autor/in:
Christoph Arens
Bronzeglocke mit Hakenkreuz / © Uwe Anspach (dpa)
Bronzeglocke mit Hakenkreuz / © Uwe Anspach ( dpa )

Es knistert im Volksempfänger. "Achtung an alle", erheischt eine sonore Stimme Aufmerksamkeit. Um dann "alle Kameraden an den entferntesten Einsatzstellen" aufzurufen, das "alte deutsche Weihnachtslied Stille Nacht, Heilige Nacht" zu singen.

Kriegsweihnacht 1942, vor 75 Jahren. In Stalingrad steht die Wehrmacht mit dem Rücken zur Wand, in Nordafrika ist das Afrikakorps auf dem Rückzug. Im Reich häufen sich die Bombenangriffe auf Großstädte. Doch zum Heiligen Abend will der Großdeutsche Rundfunk seinen Hörern demonstrieren, wo vom Nordkap bis nach Afrika deutsche Soldaten das Reich bewachen. Historiker beschreiben die Sendung als eine hoch emotionale Mischung aus Kriegspropaganda und NS-Ideologie, die Millionen Zuhörer fesselte. Aber auch auf christliche Elemente glaubte der Sender nicht verzichten zu können.

"Achtung, ich rufe noch einmal den Eismeerhafen Liinahamari", ruft der Studiosprecher zum Appell. Und trotz starker Rückkopplungen und Halleffekte kommt die Antwort "Hier ist der Eismeerhafen Liinahamari." Wie bei einer heutigen Konferenzschaltung der Bundesliga werden noch weitere Stationen aufgerufen: "Hier ist Stalingrad. Hier ist die Front an der Wolga", krächzt es aus dem Äther. Es melden sich auch ein Feldflugplatz in Südfrankreich, die Front im Kaukasus und ein U-Boot-Stützpunkt am Atlantik.

Eine Fälschung?

Nur eine rund fünfminütige Originalaufnahme der legendären "Weihnachtsringsendung" von 1942 ist im Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt erhalten und kann auch im Internet angehört werden. Die Archivierung von Rundfunksendungen habe damals erst in den Anfängen gesteckt, erläutert Archiv-Mitarbeiter Friedrich Dethlefs. Damit ist auch erklärt, warum sich viele Legenden um die Sendung ranken.

Den einen gilt sie als Fälschung: In Wirklichkeit seien die Meldungen der Soldaten im Studio produziert und mit Echtheit vortäuschenden Nebengeräuschen unterlegt worden. Gerade Zeitgenossen nahmen die Sendung dagegen für bare Münze und als Beweis großartiger Technik. Die Strecke der Übertragungsleitungen soll 50.000 Kilometer betragen haben, hieß es in zeitgenössischen Berichten.

"Und wenn die Welt voll Teufel wär"

Die Experten des Deutschen Rundfunkarchivs beziehen eine mittlere Position. Keinesfalls habe es sich um eine Livesendung gehandelt, meint der Rundfunkhistoriker Ansgar Diller. Ein Produktionsfahrplan zeige, dass die Einspielungen zwar echt gewesen seien, aber Tage zuvor erfolgten, auf Tonträger festgehalten und danach zu einer anderthalbstündigen Sendung "gestaltet" wurden.

Von einem "spontanen Wunsch" der Soldaten, das Lied "Stille Nacht" vom Nordkap bis nach Nordafrika gemeinsam zu singen, kann also keine Rede sein. Die Wirkung war trotzdem ergreifend: Gesungen wurde nicht die umgedichtete «entchristlichte» NS-Fassung, sondern der Originaltext. Die Sendung schloss mit dem Choral "Und wenn die Welt voll Teufel wär".

Glocken der Heimat 

Die Weihnachtsringsendung 1942 war nicht die einzige ihrer Art: Nachdem es am 24. Dezember 1939 noch ein konventionelles Rundfunkprogramm der Reichssender, aber auch Zusammenschaltungen für die Reden von Propagandaminister Joseph Goebbels und von "Führer"-Stellvertreter Rudolf Heß gegeben hatte, kam es 1940 erstmals zu einem einheitlichen Weihnachtsprogramm des Großdeutschen Rundfunks. Unter dem Titel "Deutsche Weihnacht 1940. 90 Millionen feiern gemeinsam" berichteten Kriegsberichterstatter aus den eroberten Gebieten. Das Ziel: "Die Verbundenheit aller Volksgenossen" und die Verbindung von Heimat und Soldaten an allen Fronten zu demonstrieren.

Dass es auch 1941 und 1943 Weihnachtsringsendungen gegeben haben muss, lässt sich nur indirekt aus Äußerungen von Vertretern des Propagandaministeriums schließen. Für Weihnachten 1944 - die Kriegsgegner hatten schon die deutschen Grenzen überschritten - wurde eine "völlig neue Weihnachtssendung" geplant. Durchhalten war angesagt: Thematisiert werden sollte, was sich Soldaten wünschen: Briefe von zu Hause, schöne Musik aus dem Lautsprecher. "Zum Schluss kommen Glocken der Heimat". Unklar ist, ob diese Sendung überhaupt übertragen wurde.


Quelle:
KNA