Myanmar wählt ein neues Parlament

"Die nächsten Jahre werden gefährlich"

Bei den Parlamentswahlen in Myanmar besteht kein Zweifel an einem Sieg von Aung San Suu Kyi und ihrer Nationalen Liga für Demokratie. Auch wenn die Bilanz ihrer ersten Regierung ernüchternd ausfällt.

Autor/in:
Michael Lenz
Flagge von Myanmar / © Creative Photo Corner (shutterstock)
Flagge von Myanmar / © Creative Photo Corner ( shutterstock )

Myanmars Kardinal Charles Bo ruft vor der Parlamentswahl zum Votum für Kandidaten auf, die für Frieden sowie "politischen und wirtschaftlichen Föderalismus" stehen. Myanmar brauche mehr "intelligente politische Führer" mit "den großartigen Werten Ehrlichkeit, Integrität, Verantwortlichkeit und Transparenz", betont der Erzbischof des Hauptstadtbistums Rangun in seinem Wahlaufruf.

Bo ist zu sehr Diplomat, um Namen von amtierenden politischen Führern aller Parteien zu nennen. Andere in Myanmar halten mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. "Wir sind Aung San Suu Kyi für ihren langen Kampf gegen die Militärdiktatur dankbar - aber jetzt ist sie zu einer zivilen Diktatorin geworden", sagt Thet Thet Khine. Die erfolgreiche Geschäftsfrau hat wegen Suu Kyis herrischen Führungsstils die Fraktion der regierenden Nationalen Liga für Demokratie (NLD) verlassen und unter dem Namen Peoples Pioneer Party (PPP) Myanmars erste Partei gegründet, die ihr Fundament nicht auf einer Person, dem Militär oder einer Ethnie, sondern auf einem Programm hat.

Weitgehende strukturelle Veränderungen blieben aus

Unter Suu Kyi haben seit der ersten freien Wahl vor fünf Jahren Demokratie, Menschenrechte und die Hoffnung auf Frieden massive Rückschläge erlitten. Der seit über 70 Jahren währende Bürgerkrieg zwischen Armee und den ethnischen Völkern, die für ihre Rechte kämpfen, ist sogar eskaliert. Ihr Versprechen, die Verfassung zu reformieren, das Militär zu entmachten und ein föderales System zu schaffen, das den vielen ethnischen Völkern politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung garantiert, hat die Friedensnobelpreisträgerin von 1991 nicht erfüllt.

"Ich ziehe eine gemischte Bilanz der Regierung Suu Kyi", sagte der Aktivist Harry Myo Lin aus Mandalay der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Es habe ein paar Verbesserungen der Infrastruktur und im Bildungssystem gegeben. "Aber ich hätte gerne weitgehende strukturelle Veränderungen und Schutz der Menschenrechte gesehen", so der muslimische Streiter für den Dialog der Religionen im mehrheitlich buddhistischen Myanmar. Positiv wertet Harry Myo Lin allerdings, dass der Einfluss radikal-nationalistischer und extrem islamfeindlicher buddhistischer Mönche etwas beschnitten worden sei.

Hass und Islamophobie verbreitet

Die Saat der Islamophobie durch radikale Buddhisten ist trotzdem aufgegangen. Auf der einen Seite werde die Meinungsfreiheit zunehmend beschränkt; auf der anderen Seite würden Hassreden gegen Muslime auf Facebook toleriert, klagte die UN-Menschenrechtskommission am Dienstag.

Der Hass betrifft in erster Linie die muslimischen Rohingya, von denen die Armee im August 2017 mehr als 750.000 gewaltsam vertrieben hat. Die in ihrem Siedlungsgebiet in Rakhine verbliebenen 600.000 Rohingya werden weiter massiv unterdrückt. "Sie haben keine Rechte, dürfen nicht wählen und drei Rohingya-Kandidaten wurden von der Wahlkommission disqualifiziert", weiß Harry Myo Lin.

Sorge mit Blick auf Wahlsieg der NLD

Der erwartete Wahlsieg der NLD könnte demnach nicht so erdrutschartig wie 2015 ausfallen. "Die Jugend, die ethnischen Völker und die urbanen Intellektuellen haben kein Vertrauen mehr in sie", sagt Khin Zaw Win, Direktor des unabhängigen Tampadipa-Institut für Demokratie und Menschenrechte in Rangun. Aber in den ländlichen Gebieten habe die Popularität von Aung San Suu Kyi durch ihren persönlichen Auftritt vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zur Verteidigung von Myanmar gegen den Vorwurf des Völkermords an den Rohingya noch zugenommen. "Sie beten sie geradezu an", sagt der 60-jährige ehemalige politische Häftling.

Weitere fünf Jahre Suu Kyi bis zur Wahl 2025 sähe Khin Zaw Win mit Sorge. Die Regierungschefin gilt als beratungsresistent und herrisch, blockiert den Aufstieg von jungen und gut ausgebildeten NLD-Mitgliedern in die von alten, ehemaligen politischen Gefangenen dominierten Parteihierarchie, denkt trotz ihrer 75 Jahre nicht an die Regelung ihrer Nachfolge und ist eher bereit, mit dem Militär als mit ethnischen Parteien zu kooperieren. Khin Zaw Win prophezeit: "Die nächsten fünf Jahre werden gefährlich."


Quelle:
KNA