Seit 150 Jahren betreut die Kirche die Binnenschiffer im Hamburger Hafen

"Die Kirche muss raus aufs Wasser"

Zweimal die Woche läuft die Barkasse "Johann Hinrich Wichern" aus. Für Diakonin Christel Zeidler und die Crew aus Ehrenamtlichen gehört der regelmäßige Kontakt mit den Binnenschiffern zum täglichen Geschäft.

Autor/in:
Marieke Lohse
Die Barkasse "Johann Hinrich Wichern" der  Binnenschiffer-Seelsorge / ©  Thomas Morell (epd)
Die Barkasse "Johann Hinrich Wichern" der Binnenschiffer-Seelsorge / © Thomas Morell ( epd )

Immer im Gepäck: Ein kleines Gastgeschenk für Binnenschiffer - Obst, Schokolade und eine aktuelle Zeitung. Dann steuert der alte Kahn die Seitenarme der Elbe an. Ziel sind die Binnenschiffe und ihre Besatzungen im Hafen. Vor 150 Jahren wurde in Hamburg die Binnenschiffer-Seelsorge gegründet. Die große Jubiläumsfeier muss allerdings coronabedingt ausfallen.

Gründungsvater der Binnenschiffer-Seelsorge war 1870 der Theologe Johann Hinrich Wichern. Er hatte auch das "Rauhe Haus" in Hamburg initiiert und gilt als Begründer der Diakonie in Deutschland. Sein damaliges Anliegen, mit den Menschen im Hafen direkt in Kontakt zu kommen, ist heute aktueller denn je: "Die Kirche geht da hin, wo die Menschen sind."

Der Heimathafen der Binnenschifferseelsorge ist die Flussschifferkirche (Flusi) mit Ankerplatz an der "Hohen Brücke" gegenüber der Speicherstadt. Seit 1906 ist der alte Weserleichter nicht mehr im offiziellen Dienst. Anfang der 1950er Jahre wurde der 26 Meter lange und sieben Meter breite Leichter umgebaut und am Zweiten Advent 1952 als Kirche geweiht. Bereits von der U-Bahn-Station Baumwall ist sie zu sehen. Äußerliches Erkennungsmerkmal ist der royal-blaue Anstrich. Auf ihrem Dach steht ein etwa vier Meter hohes orangefarbenes Ankerkreuz - das Symbol der Flusi.

Die schwimmende Kirche ist einzigartig in Deutschland - eine Hamburgensie. Der Schwerpunkt der Arbeit liege in der «aufsuchenden Seelsorge», so Zeidler "Die Kirche muss raus aufs Wasser." Und das tut die Kirche ganz praktisch mit der Barkasse "Johann Hinrich Wichern".

Noch bis 2007 hatte die Flussschifferkirche eine eigenständige Gemeinde mit eigenem Bordseelsorger für die Binnenschifferfamilien. Auf der Veddel und in der Billwerder Bucht (Rothenburgsort) lag sie vor Anker. Um der Arbeit eine Struktur zu geben, wurde 1998 ein Förderverein gegründet. Schirmherr ist seitdem der ehemalige Michel-Hauptpastor Helge Adolphsen. 2007 hat der damalige Kirchenkreis Alt-Hamburg die Flussschifferkirche an den Förderverein übergeben, um das Kirchenschiff als kirchlichen und kulturellen Ort im Hafen zu erhalten. Die Flusi finanziert sich ausschließlich aus Mitteln des Fördervereins, Sponsoren, Spenden und Kollekten.

Während der Corona-Pandemie wurden auch die Flussschifferkirche und ihre Barkasse zum Stillstand gezwungen. Jetzt geht es aber wieder los: Eingeläutet wurde die Herbstsaison mit einem Hafen-Erntedankgottesdienst am 4. Oktober. Normalerweise werden regelmäßig Gottesdienste am Sonntagnachmittag gefeiert. Einmal im Monat auch auf plattdeutsch. Durchschnittlich 30 bis 40 Gottesdienstbesucher zählt die Flusi sonntags. "Bei den Gottesdiensten auf Platt können es sogar 70 bis 90 sein."

150 Jahre Binnenschifferseelsorge sollten eigentlich mit einem großen Jubiläumsgottesdienst bereits Ende August gefeiert werden. Prominente Gäste und Redner aus Kirche und Hafen waren vorgesehen, um die Binnenschiffer-Seelsorge einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Vorerst ist das Fest jetzt auf das Frühjahr 2021 verschoben. Ein konkretes Datum für das Jubiläum gibt es ohnehin nicht. Nur das Jahr der Gründung der Binnenschiffer-Seelsorge durch Wichern ist bekannt. Doch Zeidler ergänzt schmunzelnd: "Beim 150-Jährigen kommt es auf den Tag nicht mehr an."


Quelle:
epd