Die Kirche hält sich aus dem Konflikt in Belgien heraus - aber nicht so ganz

Keine zwei Bischofskonferenzen in Sicht

Mehr als fünf Monate sind seit den belgischen Parlamentswahlen vergangen - und noch immer ist keine Lösung im Streit zwischen Flamen und Wallonen in Sicht. Der Konflikt zwischen den Landesteilen wird immer wieder neu angeheizt. Flämische Forderungen nach mehr Selbstbestimmung der bevölkerungsreicheren und wirtschaftlich prosperierenden Region stoßen auf ein entschiedenes Nein bei den frankophonen Wallonen. Eine Spaltung ist nicht mehr auszuschließen. Die katholische Kirche plädiert dagegen. Kardinal fordert z.B. seine Belgier zum Gebet für nationale Einheit auf

Autor/in:
Christoph Lennert
 (DR)

Der belgische Kardinal Godfried Danneels hat seine Landsleute am "Fest des Königs" zum Gebet für nationale Einheit aufgerufen. "Lasst uns beten, Brüder und Schwestern, für unser Land in seiner Verschiedenheit und seiner Einigkeit", sagte der Erzbischof von Mechelen-Brüssel am Donnerstag beim traditionellen "Te Deum" in der Brüsseler Kathedrale.

In seiner Predigt verwies Danneels auf Christus, der immer wieder betont habe: "Liebet einander. Liebet sogar eure Feinde." Und er verwies auf den Apostel Paulus, der im Philipperbrief rät, "nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei" zu tun. In Demut solle jeder den anderen höher einschätzen als sich selbst. Der Kardinal räumte ein, dass es sich bei dem Apostelwort um eine Utopie handele. Menschliche Utopien müssten zwangsläufig zur Enttäuschung führen. Für Gott sei aber mehr möglich: "Beten wir, dass wir diese göttliche Hoffnung behalten, diesen Herzmuskel, der keinen Infarkt kennt."

Gemeinwohl als Ziel
Bei seiner Ansprache auf Französisch bemühte sich der flämische Kardinal, Staat und Kirche auseinanderzuhalten. Die Kirche müsse sich hüten, sich in die Politik einzuschalten. Die Organisation der Gesellschaft und ihrer Institutionen gehöre in die Zuständigkeit der Politiker. Gleichwohl hätten beide das Gemeinwohl der Menschen zum Ziel.

Belgien ist zutiefst gespalten
Seit den Parlamentswahlen im Juni ist Belgien wegen Streitigkeiten zwischen Flamen und Wallonen ohne Regierung.
Flämische Forderungen nach mehr Selbstbestimmung der bevölkerungsreicheren und wirtschaftlich prosperierenden Region stoßen auf ein entschiedenes Nein der frankophonen Wallonen.
Zuletzt wurden Rufe nach einer Teilung des Landes, vor allem von Seiten rechter flämischer Nationalisten, immer lauter.

Der Tag des Königs am 15. November erinnert an die Einführung der Monarchie in Belgien 1830. König Albert II. und Königin Paola bleiben traditionsgemäß sowohl dem "Te Deum" als auch dem Festakt im belgischen Parlament fern.



Das Szenario einer Teilung des Landes ist nicht länger nur Hirngespinst rechter flämischer Nationalisten, sondern eine reale Möglichkeit. Gäbe es eine Lösung für den künftigen Status Brüssels, könnte ein unabhängiges Flandern rasch Wirklichkeit werden.

Schon in den 60er Jahren war Belgien im Sprachenstreit an den Rand des Auseinanderbrechens geraten. Damals loderte der Konflikt vor allem in der katholischen Universität Löwen auf. "Walen buiten" - "Wallonen raus" - war das Schlagwort, unter dem damals auch gewalttätig demonstriert wurde. Die Universität wurde geteilt: Zwischen Brüssel und Löwen entstand "Louvain-la-Neuve" - eine künstliche Neustadt mit französischsprachiger Hochschule. Die Bibliothek der Universität Löwen wurde nach geraden und ungeraden Katalognummern auf die beiden Hochschulen aufgeteilt.

Auffällig ist, dass sich Belgiens katholische Kirche - wie die anderen Religionsgemeinschaften auch - aus dem Streit diesmal heraushält. Sprecher von Christen, Muslimen und Juden in Belgien ließen in den Medien zwar durchblicken, ihnen sei ein einiges Belgien lieber als mehrere Landesteile. Appelle, Aufrufe, Erklärungen und öffentliche Stellungnahmen gibt es aber praktisch von keiner Seite. Auf Anfrage sagt ein Sprecher der Bischofskonferenz, zwar betrachteten auch die Bischöfe die Lage mit Sorge. Aber der Streit unter den Politikern werde in zivilisierter Weise geführt - es gebe keinen Grund, etwa zur Ruhe zu mahnen. In der Tat: Von bürgerkriegsähnlichen Zuständen ist das Volk diesmal weit entfernt.

Belgiens katholische Kirche gehört zu den wenigen Institutionen, die noch über die Sprach- und Verwaltungsgrenzen der Landesteile hinausreichen. Das Königshaus, die Fußball-Nationalmannschaft und eben die Kirche sind Einrichtungen, die auf beiden Seiten der Sprachgrenze akzeptiert oder gar geschätzt werden. Mit Kardinal Godfried Danneels steht an der Spitze der Bischofskonferenz ein unumstrittener Vermittler. Der Flame spricht perfekt Französisch, und seine Äußerungen werden in beiden Landesteilen aufmerksam verfolgt.

Danneels ist als Erzbischof von Mechelen-Brüssel zugleich der Chef der einzigen wirklich zweisprachigen Diözese des Landes.
Während ein Parlamentsausschuss jüngst - zunächst folgenlos - die Spaltung des letzten gemischtsprachigen Wahlkreises Belgiens beschloss, ist an eine Spaltung der Erzdiözese Mechelen-Brüssel nicht zu denken. Auch eine Aufteilung in zwei Bischofskonferenzen stehe überhaupt nicht auf der Tagesordnung, sagt ihr Sprecher Eric de Beukelaer. Zwar sei klar, dass Entscheidungen, die ausschließlich Flamen oder Wallonen beträfen, nur von den jeweiligen Bischöfen getroffen würden - etwa bei der Berufung von Geistlichen in den jeweiligen katholischen Verbänden. Doch ansonsten arbeiteten die Bischöfe immer zusammen.

Spekuliert wird freilich schon, wie es um Danneels' Nachfolge steht. Der 74-jährige Kardinal erreicht im nächsten Jahr die Altersgrenze, auch wenn ihn der Papst womöglich zum Weitermachen für einige Zeit auffordert. Ihm müsste, den ungeschriebenen Traditionen folgend, in Mechelen-Brüssel wieder ein französischsprachiger Erzbischof folgen. Ob das die Flamen rings um Brüssel akzeptieren würden, ist offen. Zumindest müsste ein solcher Nachfolger mindestens so gut Flämisch sprechen wie Danneels Französisch.