Die katholische Kirche hat hohe Erwartungen an die Politik im Wahljahr

"Grundlegende ethische Kriterien"

Die katholische Kirche verlangt eine weitere Förderung für Familien. Es stelle sich die Frage, ob die Einmalzahlung von 100 Euro pro Kind im Konjunkturpaket der Regierung "nicht doch für die meisten Familien nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist", sagte der Leiter des Katholischen Büros bei der Bundesregierung, Prälat Karl Jüsten, am Donnerstag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Familienpolitik ist dabei nur ein Thema, wo die Kirche ein Wörtchen mitreden will.

 (DR)

KNA: Herr Prälat Jüsten, wie schaut die katholische Kirche in Deutschland auf das Wahljahr 2009?
Jüsten: Die gegenwärtige Wirtschaftskrise erfüllt uns mit großer Sorge. Wir beobachten aufmerksam die Maßnahmen, die die Politik ergreift, um der Krise entgegen zu wirken. Wir werden die Wahlprogramme der Parteien analysieren und an unseren Idealen messen. Angesichts der aktuellen Finanz- und Wirtschaftsprobleme werden wir besonders darauf achten, welche Folgen die Krise auf den Arbeitsmarkt und die Realeinkommen der Bevölkerung hat.

KNA: Deshalb sollen jetzt zig Milliarden Euro Arbeit sichern und die Konjunktur ankurbeln, bis hin zur Prämie für Altautos.
Jüsten: Es ist zu fragen, ob bei diesem Maßnahmenkatalog grundlegende ethische Kriterien beachtet werden. In ihrem gemeinsamen Sozialwort haben die Kirchen vor gut zehn Jahren das Prinzip der Nachhaltigkeit angemahnt. Eine hohe Neuverschuldung ist problematisch, da sie auch künftigen Generationen schwere Lasten aufbürdet. Es darf sich kein neuer Schuldenberg auftürmen, dem nicht Investitionen gegenüber stehen, die auch den nächsten Generationen zugutekommen.

KNA: Wären Konsumgutscheine auch noch eine praktikable Idee?

Jüsten: Da habe ich grundlegende Zweifel. Schon die kurzfristige Wirkung solcher Gutscheine wird als sehr gering eingeschätzt. Und langfristig zahlen dann die Kindeskinder mit Zins und Zinseszins zurück, was jetzt fröhlich verausgabt wird. Andere Anreize oder Akzente scheinen da sinnvoller. Die Förderung innovativer Techniken beispielsweise oder der Abbau eines Investitionsstau, etwa im Bereich der Schulen und anderer öffentlicher Einrichtungen.

KNA: Nutzt diese Förderung dann auch Schulen in kirchlicher Trägerschaft?
Jüsten: Ich hoffe, dass nicht nur den kirchlichen Schulen geholfen wird, die einen staatlichen Auftrag erfüllen. Auch die kirchlichen Kindergärten, Hochschulen und unsere Krankenhäuser leiden unter den gleichen Problemen wie die öffentlichen Einrichtungen. Deshalb ist es nicht mehr als gerecht, sie in die Förderprogramme einzubeziehen.

KNA: Kann die Bewältigung der Wirtschaftskrise Folgen auf die Erreichung der Millenniumsziele zur Armutsbekämpfung bis 2015 haben?

Jüsten: Ich bin froh, dass mit Ausnahme der Liberalen keiner diese Verpflichtungen infrage stellt. Gerade in der Krise dürfen die Millenniumsziele nicht infrage gestellt werden. Denn sie trifft langfristig vor allem die ärmsten Länder. Die Kirchen appellieren an die Parteien, unsere weltweiten Verpflichtungen nun um so ernster zu nehmen.

KNA: Ein Blick zurück: Die große Koalition hat zum Jahresbeginn das Kindergeld und die Kinderfreibeträge angehoben. Reichte das? Wie wichtig ist der Kirche das Thema Familien- und Kinderförderung im Wahljahr?

Jüsten: Zunächst haben wir es begrüßt, dass die Familien überhaupt besser gefördert werden. Der Anstieg des Kindergeldes ist nach vielen Jahren des Stillstandes allerdings gering ausgefallen und reicht für die meisten Familien bei weitem nicht aus.

Nachbesserungen sind hier unausweichlich. Das wurde im Konjunkturpaket zumindest erkannt. Es stellt sich aber die Frage, ob die Einmalzahlung von 100 Euro pro Kind nicht doch für die meisten Familien nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

KNA: Im vorigen Halbjahr gab es bei SPD und CSU erneute Wechsel der Führungsspitze. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Jüsten: Der damalige Parteivorsitzende Kurt Beck war uns ein guter Gesprächspartner. Das gilt aber auch für seinen Vor-Vorgänger und Nachfolger, Franz Müntefering, sowie den Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Wir finden mit unseren Anliegen bei beiden offene Ohren. Ähnlich verhält es sich auch bei der CSU. Horst Seehofer hat als Sozialpolitiker wichtige Impulse aus der katholischen Soziallehre aufgenommen. Er ist auch in seinen neuen Ämtern für kirchliche Belange ein bewährter Ansprechpartner.

KNA: Trotz Ihres Lobes für die SPD-Spitze. Beim Thema Spätabtreibung, das Kirchenvertreter seit langem zur Sprache bringen und Änderungen fordern, tut sich da nicht viel.

Jüsten: Zunächst freuen wir uns darüber, dass vor allem aus den Reihen der CDU und CSU Druck gemacht wurde, um die jetzige inakzeptable Rechtslage zu verbessern. Dass ungeborene Kinder wegen einer diagnostizierten Behinderung noch bis zum neunten Monat abgetrieben werden, ist ein Skandal. Es ist doch ein Unding, dass die Behinderung eines Kindes über die medizinische Indikation der Frau abgehandelt und so ein Abbruch begründet wird. Das Problem sehen zunehmend auch die Sozialdemokraten, sie haben selbst Vorschläge zur Verbesserung vorgelegt. Es bleibt abzuwarten, ob das parlamentarische Verfahren nun tatsächlich zu einer qualitativen Verbesserung führt, die den Schutz des Kindes stärkt und den Eltern in ihrer existenziellen Notlage hilft. Aber auch wenn es zu kleinen Verbesserungen bei den sogenannten Spätabtreibungen kommt, lehnt die Kirche doch weiterhin die Rechtslage insgesamt ab, weil die Ungeborenen nur unzureichend geschützt werden.

KNA: Es scheint, dass alle Parteien Angst haben, das Thema grundsätzlicher anzusprechen. Aus dem vergangenen Jahrzehnt steht die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts einer umfassenderen Statistik und Überprüfung im Raum.

Jüsten: Wir mahnen immer wieder an, dass diese Forderung des Gerichts endlich umgesetzt und die Situation tatsächlich seriös erhoben wird. Das steht aus. Nur vordergründiges Zahlenmaterial reicht nicht. Bei einer besseren statistischen Erfassung würde noch offensichtlicher, dass die geltende Gesetzeslage unbefriedigend ist.

Aber in der Politik gibt es erkennbar eine große Scheu, dieses Thema aufzugreifen, obwohl Handlungsbedarf besteht. Das Zögern hängt sicher mit der emotionalen Härte zusammen, mit der dieses Thema vor 15 oder 35 Jahren behandelt wurde. Da geht ein Riss durch die Parteien. Und ich zweifele, ob die Parteien - auch die C-Parteien - zu einer Position kommen, wie wir als Kirche sie gerne hätten.

KNA: Gibt es denn, generell gesagt, bei den Beziehungen zu den Parteien noch Unterschiede - oder sind sie gleichermaßen gut?
Jüsten: Unser Verhältnis zu den Parteien ergibt sich aus ihrer jeweiligen Programmatik und ihrem Selbstverständnis. Da hat sich auf verschiedenen Seiten zuletzt einiges zum Positiven gewandelt. Bei der FDP etwa erleben wir ein Zugehen auf die Kirchen. So gab es ein sehr beachtliches Positionspapier, das die Zusammenarbeit erleichtert. Auch auf SPD-Seite ist in dem neuen Grundsatzprogramm großes Interesse an einer guten Kooperation mit den Kirchen erkennbar. Die Unionsparteien pflegen nach wie vor eine große Nähe.

Die traditionelle Kongruenz und Ausrichtung an der kirchlichen Soziallehre ist aber nicht mehr so selbstverständlich.

KNA: Ein landespolitisches Thema, das in den letzten Wochen immer stärker bundespolitisch kommentiert wird: Wie schaut die katholische Kirche bundesweit auf das Volksbegehren «Pro Reli» zur freien Wahl des Religionsunterrichts in Berlin?
Jüsten: Die großen Kirchen beobachten die Situation in Berlin in ökumenischer Einmütigkeit sehr aufmerksam. Denn von dem Volksbegehren kann ein Signal ausgehen. Was Politiker bislang nicht zustande gebracht haben, verlangen Bürger nun von der Politik. Und die Initiative ging von einer Eltern- und Schülerinitiative aus, das ist ermutigend. Die zuletzt vermeldeten Zahlen der Unterstützung sind beeindruckend. Die letzten Tage bis zum 21. Januar bedeuten noch einmal eine heiße Schlussphase. Wir hoffen auf weitere Unterstützer. Klar ist: Ein erfolgreicher Abschluss des Volksbegehrens kann auch einen neuen Schub für den Religionsunterricht in ganz Deutschland bringen, für seine Akzeptanz, aber auch für die innere Kraft, die Lehrer und Lehrerinnen dabei einbringen müssen.