Die inflationäre Verwendung des Begriffs "Nachhaltigkeit" stößt auf Kritik

Grün gewaschen und verwässert

Ob Shampoo-Produzent oder Politiker: Alle sprechen von "Nachhaltigkeit" und wollen damit von ihrer ökologischen Korrektheit überzeugen. Experten kritisieren dies inzwischen. Für die Ziele Umweltschutz und globale Gerechtigkeit sei die dauernde und manchmal auch etwas aufgesetzte Verwendung des Begriffs "Nachhaltigkeit" schlecht, sagen sie.

Autor/in:
Miriam Bunjes
 (DR)

Man kann Geld nachhaltig anlegen und die Kopfhaut nachhaltig von Schuppen befreien. Politiker und Betreiber nennen Kohlekraftwerke nachhaltig, wenn diese etwas weniger CO2 ausstoßen als ihre Vorgänger. Geländewagen heißen nachhaltig, wenn sie einige Gramm leichter sind.



Dass immer mehr Menschen ressourcenschonend leben wollen, nutze die Industrie längst zu Werbezwecken, sagt der Journalist und Sachbuchautor Ulrich Grober aus Marl, der 2010 ein Buch über die Kulturgeschichte des Begriffs "Nachhaltigkeit" veröffentlicht hat.

Weil Nachhaltigkeit ein vielschichtiger Begriff ist, seien die Werbestrategien schwer zu durchschauen.



Auch Ölkonzerne betreiben "Nachhaltigkeit"

Tatsächlich schreiben auch Ölkonzerne wie BP das Wort "Nachhaltigkeit" in ihre Geschäftsberichte. "In der Schweiz wurde kürzlich die nachhaltigste Autobahn aller Zeiten eingeweiht", sagt Grober, der die Themen Ökologie und später Nachhaltigkeit unter dem Eindruck der Tschernobyl-Katastrophe von 1986 für sich entdeckte. "Das verschleiert die Bedeutung des Wortes. Autobahnen und Kohlekraftwerke sind nicht nachhaltig, auch wenn sie bei einer Modernisierung etwas verbessert werden. Debatten um andere Energie- und Mobilitätssysteme werden so ausgebremst."



Und das Wort verliert an Bedeutung. Grober, von Hause aus Germanist und Anglist, verfolgte das Wort "Nachhaltigkeit" und sein englisches Pendant "sustainability" von seinen Anfängen, die er schon bei den griechischen Philosophen sieht, bis zu den Klimagipfeln der Neuzeit. Sein Ergebnis: "Nachhaltigkeit ist ein Weltkulturerbe der Menschheit." Der ethische Imperativ von der Bewahrung der Schöpfung zum Beispiel zeige, wie tief Nachhaltigkeit in der Menschheitsgeschichte verwurzelt sei. Schon vor 200 Jahren stand das Wort in einem deutschen Wörterbuch, definiert als das, "woran man sich hält, wenn alles andere nicht mehr hält".



Verständnis für "Nachhaltigkeit" ist gewachsen

Der moderne Begriff kommt aus den 1980er Jahren. Als Geburtsstunde gilt der Brundtland-Report der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung 1987: Ressourcen sollen geschont werden, um Generationen-, aber auch globale Gerechtigkeit herzustellen. Ökonomische und technische Entwicklungen sollen sich diesen Zielen anpassen.



Das Verständnis für "Nachhaltigkeit" ist gewachsen - trotz des komplizierten Inhalts, findet Dorle Riechert vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie. "Es ist in der breiteren Öffentlichkeit angekommen, dass Umwelt- und Klimaschutz zentral für die Entwicklung sind und eng mit Fragen der Gerechtigkeit zusammenhängen", sagt Riechert. Die Forscher des Wuppertal-Instituts sind als Entwickler nachhaltiger Klima- und Umweltstrategien gefragte Gesprächspartner der Medien. "Themen wie zukünftige Energiesysteme werden wichtig genommen."



Der Grazer Soziologe Klaus Kraemer stört sich an der Allgegenwart des Wortes Nachhaltigkeit. "Weil es so häufig verwendet wird, wird es bedeutungslos", sagt er. Außerdem werde Nachhaltigkeit in der politischen Debatte oft als "Totschlagargument benutzt", rügt Kraemer. "Was nachhaltig ist, soll nicht hinterfragt werden."



Rückwärtsgewandtes Konzept?

Der Chemiker Michael Braungart hält den Begriff "Nachhaltigkeit" sogar für gefährlich: "Das Konzept ist rückwärtsgewandt und bremst die Kreativität, weil es mit einem schlechten Gewissen verbunden ist", warnt Braungart, in den Niederlanden und den USA ein Medienstar mit seinem Konzept "Cradle to Cradle" ("Von der Wiege zur Wiege").



Sein Hamburger Umweltforschungsunternehmen EPEA hat essbare Sitzbezüge für Flugzeuge entwickelt, recycelbare Schuhe und auch Bürostühle, die komplett kompostierbar sind. Das ist gut für die Umwelt. Nachhaltig will er das aber nicht nennen, denn dieses Wort hängt für ihn mit Verzicht zusammen. "Wir müssen nicht weniger verbrauchen, sondern neue Produkte erfinden, die man in die Produktionskreisläufe zurückführen kann", fordert Braungart.