Warum eine Erinnerungskultur noch heute notwendig ist

"Die Geschichte wiederholt sich"

Vor 75 Jahren wurden in Berlin Plötzensee Widerstandskämpfer wie Nikolaus Groß oder Pater Alfred Delp hingerichtet. Daran erinnern die Ökumenischen Plötzenseer Tage - für Pfarrer Lutz Nehk sind diese Tage immens wichtig.

NS-Gedenkstätte Plötzensee (KNA)
NS-Gedenkstätte Plötzensee / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was hat die beiden christlichen Kirchen dazu bewogen, die Plötzenseer Tage ökumenisch zu veranstalten?

Pfarrer Lutz Nehk (Beauftragter des Erzbistums Berlin für Erinnerungskultur): Die Ökumenischen Plötzenseer Tage gehen darauf zurück, dass in Berlin Plötzensee zwei Gedenkkirchen unmittelbar nebeneinander stehen, die einen Bezug zur Hinrichtungsstätte Plötzensee haben. Einmal ist das die katholische Kirche Maria Regina Martyrium und - etwas später gebaut - die evangelische Kirche Plötzensee. Diese Kirchen beziehen sich auf die Ereignisse des Widerstands und der Hinrichtung der Opfer von Plötzensee. Daraus haben sich dann die Ökumenischen Plötzenseer Tage entwickelt.

Die Plötzenseer Gedenktage werden seit dem letzten Jahrhundert praktiziert. Äußerer Anlass ist der 23. Januar, der Todestag von Nikolaus Groß und Helmuth James von Moltke, und der 2. Februar, der Tag, an dem Pater Alfred Delp in Plötzensee hingerichtet wurde. Mittendrin liegt der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.

DOMRADIO.DE: Welche Verantwortung haben die Kirchen bei der Erinnerungskultur? Ist dies eine Verantwortung, die sich aus dem Evangelium ableiten lässt?

Nehk: Ja natürlich. Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus ist eine Erinnerung an die Menschen, die aus ihrem Glauben heraus Widerstand geleistet haben. Aus dem christlichen Menschenbild heraus die Würde des Menschen zu bewahren, das war für sie der Punkt, wo sie gesagt haben: Da können wir mit den Nationalsozialisten, mit ihrer menschenverachtende Ideologie, nicht mitgehen und dagegen wollen wir angehen.

DOMRADIO.DE: Sie sind Beauftragter für Erinnerungskultur. In welcher Form erinnern Sie an die Widerstandskämpfer und ihre Hinrichtungen durch die Nationalsozialisten?

Nehk: Für uns sind immer zwei Dinge wichtig: Dass es eine Art spirituelle gottesdienstliche Form der Erinnerung gibt. Das heißt mit gemeinsamen Gebeten, Gesängen, einem gemeinsamem Gottesdienst, in dem die Namen der Hingerichteten wichtig sind. Zum anderen, dass es eine Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Fragen, was sie uns noch heute zu sagen hat, gibt. 

DOMRADIO.DE: Erreichen Sie in Berlin eine Öffentlichkeit? Interessiert das die Menschen in der Großstadt?

Nehk: Es gibt einen festen Kreis von Menschen, die an diesen Tagen teilnehmen. Es gibt Leute, die ausdrücklich zu diesen Tagen kommen. Es sind immer so zwischen 60 und 80 Leuten. Leider kommen nicht so viele junge Leute.

DOMRADIO.DE: Woran liegt das? Haben Sie da eine Idee?

Nehk: Wenn wir das wüssten... Es kommen das Jahr über immer viele Schulklassen und Studentengruppen, die die beiden Kirchen besuchen. Aber an den Veranstaltungen nehmen relativ wenige junge Menschen teil. Wir arbeiten daran.

DOMRADIO.DE: Schauen wir auf die Widerstandskämpfer, derer gedacht wird. Pater Alfred Delp, Nikolaus Groß haben Sie schon genannt. Was beeindruckt Sie so sehr an diesen Menschen?

Nehk: Nikolaus Groß war ja Gewerkschafter, Sekretär der Katholischen Arbeitnehmerbewegung und Familienvater. Mich beeindruckt, dass er auch als Familienvater Widerstand geleistet hat, das heißt, dass er seiner Familie eine große Last aufgebürdet hat, diese das aber mitgetragen hat.

An Helmut James von Moltke und Pater Alfred Delp beeindruckt mich, dass Sie innerhalb ihrer gemeinsamen Gefängniszeit in Berlin-Tegel ein spirituelles Leben entwickelt haben. Der evangelische Christ Moltke und der katholische Jesuitenpater Delp haben durch geheime Mitteilungen vereinbart, welche Bibelstellen sie lesen und welche Gebete sie füreinander sprechen und betrachten. Da hat sich eine "Ökumene der Märtyrer" entwickelt, die für uns heute - motiviert durch diese beiden Menschen - Grund ist ökumenisch zu arbeiten und unsere Erinnerungskultur grundsätzlich ökumenisch auszurichten.

DOMRADIO.DE: Für uns ist es total selbstverständlich, an das Wirken dieser Menschen sowie an die Befreiung von Auschwitz und die Gräueltaten der Nazis zu erinnern. Jetzt gibt es auch Stimmen in Deutschland, die sagen, das alles sei nur "ein Flliegenschiss in der deutschen Geschichte" gewesenr. Man müsse mal aufhören mit diesem ewigen Erinnern. Was sagen Sie denen in einem Satz?

Nehk: Denen sage ich, dass die Geschichte sich wiederholt und sie, die das sagen, das beste Beispiel dafür sind, das eine Erinnerungskultur notwendig ist.


Quelle:
DR
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