Die EU steht vor großen Herausforderungen

Ein Weihnachtswunder und jede Menge Arbeit

Und sie bewegt sich doch. Bislang hat die EU noch jedes Mal die Kehrtwende geschafft, sobald es eng zu werden drohte. Jüngstes Beispiel: der Brexit-Deal.

Autor/in:
Joachim Heinz
Weihnachtsbaum mit EU-Christbaumkugel / © renatsadykov (shutterstock)
Weihnachtsbaum mit EU-Christbaumkugel / © renatsadykov ( shutterstock )

An Heiligabend wurde das "Weihnachtswunder" wahr. Auf den letzten Drücker einigten sich die EU und Großbritannien auf einen Brexit-Deal. Auch wenn dem exakt 1.246 Seiten starken Abkommen noch das britische und das Europaparlament sowie die 27 EU-Mitgliedstaaten zustimmen müssen, zeigten sich nicht nur Politiker erleichtert. Das Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche von England, Justin Welby, sagte bei einem Weihnachtsgottesdienst in der Kathedrale von Canterbury, die Vereinbarung sorge für viele Händler und Unternehmen für mehr Sicherheit und Zuversicht.

In der EU blicken die Verantwortlichen nach einem turbulenten Jahr mit verhaltenem Optimismus in die Zukunft. Das hat nicht nur mit dem Brexit-Deal zu tun. Kurz vor dem Jahreswechsel sollen in ganz Europa endlich die Corona-Impfungen beginnen. "Schrittweise werden wir unser gewohntes Leben zurückerlangen", twitterte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am ersten Weihnachtstag. Unterdessen kann Deutschland, das am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft für die nächsten sechs Monate an Portugal weitergibt, eine halbwegs zufriedenstellende Bilanz ziehen.

Stumpfes Schwert oder Verhandlungsgeschick?

Der EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 samt Corona-Hilfspaket steht - nach Zugeständnissen an Polen und Ungarn beim sogenannten Rechtsstaatsmechanismus. Der hatte eigentlich vorgesehen, bei Verstößen gegen die europäischen Werte Mittel zu kürzen. Mitte Dezember gelang es, mit einem Kompromiss den Gordischen Knoten zu zerschlagen und die Blockadehaltung der beiden Länder zu durchbrechen. Während Kritiker seither befürchten, dass der Mechanismus nurmehr ein stumpfes Schwert ist, lobten Befürworter das Verhandlungsgeschick der Deutschen.

Letzteres soll auch bei den Diskussionen zum europäischen Klimaziel 2030 den Ausschlag gegeben haben. Bis dahin will die EU den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlenstoffdioxids um mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Niveau von 1990 senken. Nichtregierungsorganisationen wie Germanwatch oder Misereor sprachen anschließend von einem wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Aber nun komme es auf die Umsetzung an. Dabei gehe es vor allem um einen möglichst schnellen Ausstieg aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas, so die Klima-Expertin von Misereor, Kathrin Schroeder. "Je mehr Zeit hier verstreicht, desto schwieriger und teurer wird es in der Zukunft, die Folgen der Klimakrise zu bewältigen."

Anders ausgedrückt: Deutschland hat im Lauf der Ratspräsidentschaft manch dickes Brett gebohrt - hinterlässt dem Nachfolger Portugal allerdings auch jede Menge Hausaufgaben. Zu den Dauerbaustellen gehört der Umgang mit Flüchtlingen. Nichts weniger als eine "Erneuerung der Europäischen Migrations- und Asylpolitik" hatte sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben. Sechs Monate später ist davon kaum etwas zu merken. Auf Lesbos sind 7.000 Menschen nahezu ungeschützt den winterlichen Temperaturen ausgesetzt, während sich die Kanarischen Inseln zu einem neuen Hotspot für Flüchtlinge entwickeln.

Bischof Bätzing: Asylpolitik ist eine Schande

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, nannte es an Weihnachten eine Schande, dass die EU nicht zu einer gemeinsamen Asylpolitik finde. Im ersten Halbjahr 2021 werden Europas Politiker vermutlich einen neuen Anlauf unternehmen. Und möglicherweise wieder weit vor dem Ziel abbremsen. Denn die Agenda ist prall gefüllt. Das Spektrum reicht von einer Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik über neue Digital-Regeln, die die Marktmacht von google, Facebook und Co eingrenzen sollen, bis hin zu Debatten über Ethik und Künstliche Intelligenz.

Und dann wären da noch die Folgen der Corona-Krise - mögliche Pleitewellen und Schuldenkrisen - und des Brexit-Handelsabkommens. Symbolträchtige Bilder produzierten die endlos scheinenden LKW-Schlangen jenseits des Kanals, als die EU kurzzeitig die Grenzen wegen einer unter anderem in Großbritannien neu aufgetauchten Variante des Virus dicht machte. Tausende LKW-Fahrer mussten die Weihnachtstage in der Gegend um Dover verbringen. Solche Szenen sollen sich bei der Umsetzung des Brexit-Deals nach dem Willen aller Beteiligten nach Möglichkeit nicht wiederholen.


Quelle:
KNA
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