"Erzähl-mir-ein-Märchen"-Tag

Die Bewahrer der alten Märchen in Benin

An diesem Dienstag ist "Erzähl-mir-ein-Märchen"-Tag: Im westafrikanischen Benin haben Märchen Tradition, geraten aber zunehmend in Vergessenheit. Mit dem Sammeln von Geschichten und Märchenstunden für Kinder sollen sie bewahrt werden.

Autor/in:
Katrin Gänsler
Coffi Anato, Schüler und Märchenerzähler, in Benin / © Katrin Gänsler (KNA)
Coffi Anato, Schüler und Märchenerzähler, in Benin / © Katrin Gänsler ( KNA )

Plötzlich rappelt es unter der geflochtenen grünen Kiste, und Jungschauspieler Coffi Anato, der sich unter ihr versteckt hatte, wirft sie mit Gepolter um. Mit einem Satz springt der Elfjährige auf, steht auf der Bühne und fängt an zu erzählen. Die 30 Kinder, die aus der Nachbarschaft ins Dorf der Märchen Adjrou'houe gekommen sind, verfolgen jede Bewegung und hören ihm aufmerksam zu

Als sie nach der Aufführung klatschen, strahlt Coffi und bedankt sich mit einer Verbeugung. "Ich liebe diese Auftritte, ich liebe den Applaus. Nach der Schule möchte ich entweder Pianist oder Komiker werden", sagt er später.

Jeden Mittwoch Märchenstunde

Der Schüler gehört zu Benins jüngsten Märchenerzählern und steht regelmäßig auf der Bühne im sogenannten Dorf der Märchen. Jeden Mittwoch gibt es hier eine Märchenstunde für Kinder. Am Wochenende werden Konzerte und Workshops angeboten. In der Bibliothek, sagt Gründer Fidele Anato (39), ist Benins erste private Märchensammlung untergebracht. Coffis Lieblingserzählung lautet "Der Pakt der Tiere".

Darin müssen Löwe, Panther, Fuchs, Schlange und Grille Regeln für das Zusammenleben aushandeln sowie Konsequenzen für jene, die sich nicht daran halten. Das ist ein häufiges Motiv. In anderen Märchen geht es darum, dass Kinder ihre Eltern achten und respektieren sollen oder Diebstahl und Lüge am Ende bestraft werden.

Mit diesen Märchen ist auch Germanistikprofessor Mensah Wekenon Tokponto aufgewachsen. Er hat in Bielefeld zu beninischen und Märchen der Brüder Grimm promoviert und lehrt heute an der Universität Abomey-Calavi. "Das Märchen gehörte zum Alltag. In meinem Heimatdorf hat abends nach dem Essen auf dem öffentlichen Platz immer eine Erzählstunde stattgefunden. Wir Kinder waren zuerst an der Reihe.

Begonnen wurde mit kleinen Rätseln, die wir lösen mussten." An eins erinnert er sich bis heute gut: "Ich bin ein Obstbaum. Wenn ich Früchte getragen habe und diese abgeerntet sind, dann muss ich sterben. Welcher Baum bin ich?" Mensah Wekenon Tokponto lacht und gibt die Antwort selbst: "der Bananenbaum".

Erzähltradition und Märchen geraten in Vergessenheit

In der Zeit von Smartphones und Fernsehen geraten Erzähltradition und Märchen jedoch in Vergessenheit. Früher wurden sie in den lokalen Sprachen - im Süden von Benin beispielsweise Fon - weitergegeben.

Orte wie das Dorf der Märchen am Rande der Stadt Abomey-Calavi sind die Ausnahme. Erzählt wird höchstens noch innerhalb der Familie, aber nicht mehr an öffentlichen Orten. Damit die Geschichten nicht verloren gehen, sammelt Mensah Wekenon Tokponto sie seit Jahrzehnten.

Schon im Studium besuchte er dafür die Dörfer und nahm sie mit einem Tonbandgerät auf. Heute machen das seine Studenten.

Mit dem Buch "Der Regenwurm und sein Onkel: Märchen aus Benin" sind einige Erzählungen mittlerweile auf Deutsch verfügbar. Diese trägt der Professor regelmäßig in Deutschland, etwa in Schulen, vor. So lernte er 2006 auch Lothar Klering aus Schorndorf bei Stuttgart kennen. Der inzwischen pensionierte Lehrer lud den Märchenerzähler damals in eine fünfte Klasse ein. Er ist Mitglied im beninisch-deutschen Verein "Sonafa", der neben der Dokumentation mündlicher Erzählungen den Bau von Schulen in entlegenen Regionen fördert. Mit dieser Kombination komme man bei Veranstaltungen schnell in Kontakt, so Klering. "Märchen sind heute in Deutschland ein ganz populäres Thema und Ausdruck der jeweiligen Kultur."

Märchen sind lebendig

Zurück im Dorf der Märchen. Den Nachmittag über hat Gründer Fidele Anato einem halben Dutzend kleinen Erzählern bei ihren Auftritten zugeschaut, von denen manche nicht einmal zehn Jahre alt sind.

Trotzdem tragen die Mädchen und Jungen die alten Fabeln ohne jegliches Lampenfieber, dafür aber mit großem schauspielerischem Talent vor. Diese Begeisterung ist Anatos Hoffnung. "Märchen sind so lebendig. Sie sind ein eigenes Universum", sagt er und schüttelt dann leicht abfällig den Kopf, wenn er an die moderne Konkurrenz denkt.

"Technische Geräte haben dagegen doch gar keine Seele."


Quelle:
KNA