Die Aussetzung der Wehrpflicht aus friedensethischer Sicht

"Dann braucht Innere Führung größere Beachtung"

Die Wehrpflicht und das Konzept der Inneren Führung sind in den vergangenen 50 Jahren als zwei Grundpfeiler des Bemühens angesehen worden, die Eingliederung der Streitkräfte in die demokratische Verfassung abzusichern. Kann das Konzept der Inneren Führung dies künftig auch ohne die Unterstützung der Wehrpflicht leisten? Von Heinz-Gerhard Justenhoven.

 (DR)

Die Innere Führung ist der Oberbegriff für das innere Gefüge und die Menschenführung in den deutschen Streitkräften, er steht für die "Unternehmenskultur" der Bundeswehr. Die Innere Führung setzt als Gestaltungsprinzip den verbindlichen äußeren Rahmen für das Führen von Soldaten und ist zugleich Normenlehre für das Verhalten der Soldaten und ihren Umgang untereinander. Sie ist durch die Verpflichtung aller Vorgesetzten gekennzeichnet, auch in den hierarchischen militärischen Strukturen die Individualrechte des einzelnen Soldaten zu respektieren. In ihr manifestiert sich auch das Leitbild vom mündigen Staatsbürger im Spannungsfeld zwischen bürgerlichen Rechten und soldatischen Pflichten.



Das Prinzip der Inneren Führung gilt damit gleichermaßen in einer Wehrpflicht- wie in einer Freiwilligenarmee. Auch in der letzteren müssen sich militärische Führer mit Veränderungen in der Politik und Gesellschaft auseinandersetzen.



Gewissensverantwortung des Soldaten

Die Verantwortung des Soldaten beschränkt sich eben nicht nur auf die korrekte Ausführung von Befehlen, sondern in seiner Person steht er auch ein für die Legitimität und politische Verantwortbarkeit seines Auftrags. Gerade angesichts der politischen Unübersichtlichkeit internationaler militärischer Einsätze, in die deutsche Soldaten in den vergangenen 20 Jahren vermehrt geschickt wurden, ist die Gewissensverantwortung des Soldaten für sein Tun gefragt. Der Verweis auf den politischen Auftrag durch das politisch verantwortliche Parlament reicht als ethische Basis nicht aus. Dies gilt nicht zuletzt im Blick auf das Eingeständnis mancher Parlamentarier, sich die Komplexität des Afghanistan-Einsatzes in den ersten Jahren nicht bewusst gemacht zu haben.



Gleichwohl ist die Bundeswehr - wie jede Armee - vom Prinzip "Befehl und Gehorsam" geprägt. Wehrpflichtige, die per se keine Karriere in der Bundeswehr vor sich hatten, hinterfragten tendenziell eher Befehle auf ihre Begründung hin als gleichaltrige Freiwillige, die auf die Beurteilungen ihrer Vorgesetzten angewiesen sind. Dieses kritische Regulativ, das zum Hinterfragen von Befehlen und der Notwendigkeit einer nachvollziehbaren Begründung durch militärische Vorgesetzte geführt hat, wird künftig eher wegfallen. Es ist nicht zu erwarten, dass dies keine Auswirkungen auf die Gehorsams- und Begründungskultur der Streitkräfte haben wird. Daher muss darüber nachgedacht werden, wie man unerwünschte Entwicklungen des Inneren Gefüges der Streitkräfte verhindert, die sich daraus ergeben können.



Ethische Grenzen von Befehl und Gehorsam wichtiger denn je

Die ethischen Grenzen von Befehl und Gehorsam wie die Prinzipien der Inneren Führung gehörten und gehören heute mehr denn je in die Ausbildungen der Unteroffiziere wie der Offiziere. Nicht, weil die Bundeswehr eine Wehrpflichtarmee war, sondern weil die rechtlichen und ethischen Grenzen von Vorgesetzten gegenüber den ihnen unterstellten Soldaten zu beachten sind. Diese Achtung begründet sich letztlich aus den im Grundgesetz verankerten Menschenrechten.



Das Parlament, insbesondere der Wehrbeauftragte, die Öffentlichkeit, aber auch die Bundeswehr selbst, werden also der Wahrung der Leitlinien der Inneren Führung in einer Bundeswehr ohne Wehrpflicht größere Beachtung schenken müssen. Dies gilt zuerst für die Ausbildung in den Unteroffizier- und Offiziersschulen. Innere Führung und militärische Professionalität dürfen im Selbstverständnis und folglich in den Ausbildungscurricula nicht gegeneinander ausgespielt werden. Gerade die US-amerikanischen Erfahrungen im Irak und in Afghanistan haben gezeigt, dass mangelndes ethisches Bewusstsein, falsch verstandene Professionalität und mangelnde kulturelle Sensibilität gerade auch militärisch kontraproduktiv sein können. Bürgerkriegssituationen wie Afghanistan erfordern einen ethisch und kulturell gebildeten und sensiblen Soldaten.



Hinweis: Der Autor Heinz-Gerhard Justenhoven ist Direktor des Instituts für Theologie und Frieden in Hamburg, eine wissenschaftliche Einrichtung des katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr. Zugleich ist er Vorstand der Katholischen Friedensstiftung.