Insgesamt 18 Jahre lang war Wolfgang Richter Ausländerbeauftragter von Rostock. Ob er das Amt auch ohne die schweren Ausschreitungen vom August 1992 im Stadtteil Lichtenhagen über einen so langen Zeitraum ausgeübt hätte, ist schwer zu sagen. "Wahrscheinlich eher nicht", meint er selbst. Doch in jenen Stunden in Lebensgefahr gab es einen Moment des Innehaltens, in dem sich Richter zwei Versprechen gab.
In der Nacht vom 25. auf den 26. August 1992 schaute Richter aus dem Fenster. Ein Jahr vor den Ausschreitungen in Lichtenhagen hatte er sich auf die Stelle des Ausländerbeauftragten beworben. Nun klopften Menschen vor dem Haus Steine aus der Straße, die sie zusammen mit Molotow-Cocktails in die unteren Stockwerke warfen. Richter hörte Fensterscheiben klirren, hörte die Sprechchöre "Ausländer raus" und die Menge nach jedem Wurf jubeln und klatschen.
Mit ihm steckten 150 Menschen in dem brennenden Haus fest, vor allem vietnamesische Vertragsarbeiter, auch ein Kamerateam des ZDF und Angestellte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.
Drei Nächte im Ausnahmezustand
Wolfgang Richter, ein großer schlanker Mann, damals 36 Jahre alt, hatte Geografie und Geschichte studiert. "Pogrom", das war für ihn ein Wort aus einer anderen Zeit. Nun steckte er mitten drin in den wohl schlimmsten fremdenfeindlichen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Drei Nächte verbrachte er im Ausnahmezustand im "Sonnenblumenhaus".
In der Nacht auf den 26. August stand Richter am Fenster, unten die Gewalt und das Feuer, oben die hektische Betriebsamkeit der Eingeschlossenen. Richter nahm sich zwei Versprechen ab: "Ich habe mir damals geschworen, alles dafür zu tun, dass die politischen Handlungsträger zur Verantwortung gezogen werden, wenn ich hier wieder lebend rauskommen sollte. Und ich habe beschlossen weiterzumachen, dem Mob auf der Straße diese Stadt nicht und auch nicht dieses Land zu überlassen."
Zusammen mit einer Handvoll anderer Eingeschlossener schaffte es Richter irgendwie, die unteren Stockwerke zu verbarrikadieren und einen Ausweg über das Dach des Hauses zu finden. Die 150 Menschen konnten sich über das Dach in einen anderen Hausaufgang retten. Die Stunden in dem brennenden Haus, der Jubel - während gleichzeitig Menschen um ihr Leben kämpften - sei eine Zäsur gewesen, sagt Richter. Das Erlebnis habe ihn geprägt und die Zeit in ein Davor und ein Danach geteilt.
Neue stadtteilbezogene Beratungsangebote
Sich einen neuen Job zu suchen, kam für ihn jedoch nicht infrage. Er verlegte den Schwerpunkt seines Aufgabenbereichs hin zu Koordinierungs- und Managementaufgaben, förderte die Entwicklung von Migrantenvertretungen und schuf stadtteilbezogene Beratungsangebote. Seine Ideen fanden bundesweites Interesse.
Die Momente im Sonnenblumenhaus, so tragisch sie waren, seien für das Erreichen seiner Ziele als Ausländerbeauftragter vielleicht auch hilfreich gewesen, sagt Richter. Er könne nicht ausschließen, dass er durch die Ausschreitungen Zugänge in Ministerien der Landesregierung, zu Staatssekretären und Ministern bekommen habe, man ihm das eine oder andere Mal ein bisschen länger und besser zuhörte.
Arno Pöker (SPD), Rostocker Oberbürgermeister zwischen 1995 und 2004, relativiert diese Einschätzung. "Die Lichtenhagen-Karte hat Wolfgang Richter nie gespielt", sagt er, "das hatte er gar nicht nötig". Für ihn ist Richter ein Mann mit einer klaren Vision, der genau gewusst habe, was er wollte, "verlässlich, sehr verantwortungsvoll, hochpolitisch".
19 Jahre später hat Wolfgang Richter ein neues Büro in der Rostocker Innenstadt bezogen. Seit Januar 2010 ist er Bereichsleiter der Rostocker Gesellschaft für Gesundheit und Pädagogik. Richter hatte das Bedürfnis noch einmal neu anzufangen, eine neue Aufgabe anzunehmen. Der ausgebildete Lehrer hat jetzt wieder mehr mit Pädagogik als mit Migration zu tun. Aber an der Wand hängt immer noch ein Interkultureller Kalender.
Die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen vor 19 Jahren
Dem Mob nicht die Stadt überlassen
In der Nacht vom 25. auf den 26. August 1992 begannen die rechtsradikalen Ausschreitungen gegen das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen. Nächtelang wurde dann Jagd auf vietnamesische Vertragsarbeiter gemacht. Der Ausländerbeauftragte von Rostock erinnert sich an die Tage der Schande.
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