Die Attacke gegen den "Avvenire"-Chef zeigt unklare Frontlinien

Italiens Kirche im Medienkrieg

Der Knoten ist geplatzt: Nach tagelangem Geharke um angebliche Flecken auf der Weste des katholischen Chefredakteurs Dino Boffo gibt der Angegriffene die Leitung der katholischen Tageszeitung "Avvenire" auf. Damit steht die Leitung der bischöflichen Medienunternehmen neu zur Vergabe an. Ein Thema wird auch die künftige Ausrichtung sein.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Er habe die Entscheidung nicht zuletzt mit Rücksicht auf seine Familie gefällt, teilte der Chefredakteur in seinem letzten Leitartikel am Freitag mit. Zugleich verlässt er die Direktion des kircheneigenen Fernsehsenders TV2000 und von Radio Inblue. Sein Dienstherr, der Bischofskonferenz-Vorsitzende Kardinal Angelo Bagnasco, stellte sich noch einmal ausdrücklich hinter Boffo, nannte ihn "Ziel einer unsäglichen Attacke". Vom "ersten Sieg in einer Schlacht" sprach hingegen Boffos Kontrahent in der Zeitungsfehde, Vittorio Feltri von "Il Giornale".

Sowohl der "Avvenire" wie auch das landesweit verbreitete Wochenmagazin "Famiglia Cristiana", eine Zeitschrift des Pauliner-Ordens mit respektabler Auflage, hatten immer wieder und mit teils scharfen Tönen bestimmte Entscheidungen der Regierung Silvio Berlusconis aufs Korn genommen - besonders dort, wo es um Zuwanderung und den Schutz des Asylrechts ging. In den vergangenen Monaten kamen an Themen die privaten Eskapaden Berlusconis dazu, seine privaten Kontakte zu dem gerade 18-jährigen Model Noemi Letizia und Callgirl-Besuche in seiner Amtswohnung.

Retourkutsche der Berlusconi-Familie
Die Kampagne gegen den "Avvenire"-Chef war eine Retourkutsche der Zeitung "Il Giornale", einem Blatt der Berlusconi-Familie: Boffo sei selbst wegen einer pikanten Affäre juristisch belangt worden und habe daher keinen Grund, den Moralisten zu spielen, schrieb Vittorio Feltri, der neue und um Profilierung bemühte Chefredakteur der Zeitung. Boffo habe die Ehefrau eines Mannes telefonisch belästigt, mit dem er eine homosexuelle Beziehung unterhalten habe. "Il Giornale" stützte sich auf eine Bußgeldzahlung, mit der Boffo 2004 die gerichtliche Klage einer Frau abwehrte, und auf ein anonymes Verleumdungsschreiben. Boffo sieht darin eine böswillige Konstruktion. Die nationale Bischofskonferenz stellte sich hinter ihren Medienmann. Auch aus dem Vatikan gab es Entlastungsversuche, wenngleich eher halbherzig. Beim dritten Rücktrittsangebot Boffos ließ die Bischofskonferenz ihn gehen.

Damit steht die Leitung der bischöflichen Medienunternehmen neu zur Vergabe an. Bislang liefen die Fäden bei Boffo zusammen: Vor 15 Jahren auf den Chefsessel des "Avvenire" berufen, übernahm er auch die Verantwortung für die beiden 1998 gegründeten Sender und vier nach und nach eingeführte Magazine für Familien, Kinder, Kultur und Soziales. Kommissarisch führen jetzt zwei Stellvertreter getrennt den Printbereich und die Sender weiter. Ob das kleine Imperium wieder in einer Hand vereint wird, dürfte der Ständige Rat der Italienischen Bischofskonferenz bei seiner nächsten Sitzung am 21.
September diskutieren.

Künftige Ausrichtung der katholischen Medien
Ein Thema wird dann wohl auch die künftige Ausrichtung der katholischen Medien sein. Trotz aller Solidaritätsbekundungen hoher Kirchenmänner hatte die Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano" den "Avvenire" jüngst für seinen Berlusconi-kritischen Kurs gerügt.. Der "Osservatore" steht faktisch unter der Leitung von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Dieser sucht mehr und mehr eine Rolle als Mitgestalter der italienischen Politik wie der frühere einflussreiche Bischofskonferenz-Vorsitzende Camillo Ruini.
Die Reibungen zwischen Kirche und Regierung bieten für ihn eine Gelegenheit zur Profilierung - auch auf dem Feld des Medienmanagements.

Die Oppositionspolitikerin Rosy Bindi (Demokratische Partei) sprach unterdessen mit Blick auf den Ausgang der publizistischen Schlacht von einem "Bruch zwischen Mitte-Rechts und der katholischen Welt".
Ob das so ist, steht dahin: Noch am Donnerstagabend, kurz nachdem er den Rücktritt Boffos angenommen hatte, hielt Kardinal Bagnasco ein seit Tagen angekündigtes Treffen mit den Spitzen der rechtspopulistischen Regierungspartei Lega Nord, um das Kriegsbeil zu begraben. Laut Minister Roberto Calderoli soll es eine "sehr positive" Begegnung gewesen sein.