Die Akteure der "Vatileaks"-Affäre im Kurzporträt - Neu: Clemens, Stampa, Sardi

Drama im Vatikan

Auch mit der Haftenlassung des päpstlichen Kammerdieners Paolo Gabriele ist die Vatileaks-Affäre um die Veröffentlichung interner Dokumente noch nicht aufgeklärt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) stellt die wichtigsten Akteure in Kurzporträts vor.

 (DR)

 

Paolo Gabriele (46) Der Päpstliche Kammerherr steht im Mittelpunkt der vatikanischen Ermittlungen: Paolo Gabriele wird verdächtigt, interne Dokumente kopiert und aus dem Apostolischen Palast geschmuggelt zu haben. Seit sieben Jahren arbeitete Gabriele - Familienvater mit drei Kindern - als "Maggiordomo" in einer der diskretesten Aufgaben des Vatikan.

Zusammen mit den beiden Privatsekretären Georg Gänswein und Alfred Xuereb sowie den vier Haushälterinnen gehörte er zur "Päpstlichen Familie". Er bediente den Papst bei Tisch, trug seine Aktenmappe, packte den Koffer, wenn Benedikt XVI. auf Reisen ging. Und: Er hatte praktisch ungehinderten Zugang zu allen Räumen des päpstlichen Appartements.

Allem Anschein nach ist Gabriele die wichtigste Quelle, die der Journalist Gianluigi Nuzzi mit dem Decknamen "Maria" bezeichnet.
Möglicherweise gibt es aber ein weiteres Netzwerk von Informanten. Diese Fragen versucht derzeit der vatikanische Ermittlungsrichter Piero Antonio Bonnet in Vernehmungen zu erhellen. Seit 23. Mai saß Gabriele in Haft, am 21. Juli wurde er vorläufig entlassen und unter Hausarrest gestellt. Die vatikanische Justiz muss aber noch entscheiden, ob sie ein offizielles Verfahren gegen Gabriele eröffnet oder ob sie den Fall niederschlägt. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm mehrere Jahre Freiheitsentzug.

Gianluigi Nuzzi (43)
Der italienische Journalist brachte den Stein ins Rollen: In seinem TV-Politmagazin "Gli intoccabili" zitierte er am 25. Januar aus Briefen des ehemaligen Generalsekretärs des Vatikanstaates, Erzbischof Carlo Maria Vigano, der Korruption und Vetternwirtschaft anprangerte. Lange Zeit arbeitete Nuzzi für die rechtspopulistische Zeitung "Il Giornale" in seiner Heimatstadt Mailand. Später verlegte er sich auf große investigative Recherchen, etwa über das Netz der kalabresische Mafia in Norditalien. 2009 veröffentlichte er "Vaticano S.p.A." (deutsch: "Vatikan AG") über die Finanzen der Kirche und ihre Verstrickungen mit Politik und Mafia. Im Mai erschien "Sua Santita" ("Seine Heiligkeit"). Die darin ausgewerteten internen Papiere aus dem Vatikan will er von einem Informanten mit Decknamen "Maria" erhalten haben. Im September erscheint das Buch auch auf deutsch.

Georg Gänswein (55)
Als Privatsekretär ist Georg Gänswein der engste Mitarbeiter von Papst Benedikt XVI. Er gehört zur "Päpstlichen Familie"; er begleitet das Kirchenoberhaupt täglich von der Frühmesse bis zu den Abendnachrichten und entscheidet maßgeblich, wer zum Papst vorgelassen wird und welche Schriftstücke auf den päpstlichen Schreibtisch im Apostolischen Palast gelangen. Aus Riedern im Südschwarzwald stammend, arbeitet Gänswein seit 1995 im Vatikan: zuerst in der Gottesdienstkongregation, seit 1996 in der Glaubenskongregation unter Kardinal Joseph Ratzinger. Dieser machte den Freiburger Priester und Kirchenrechtler 2003 zu seinem persönlichen Sekretär.

Benedikt XVI. (85)
Der Papst steht im Sturmzentrum von Vatileaks - zwar nicht als Ziel von Angriffen, aber als oberster Verantwortlicher in der Kirchenleitung. Der Titel des Enthüllungsbuches "Sua Santita" ist die protokollarische Anrede des Papstes. Sie leitet etliche dort dokumentierte Briefe ein, in denen sich Kirchenmitarbeiter über Amtsmissbrauch und Intrigen beschweren. Auf etlichen Faksimiles erscheint neben dem Eingangsstempel das handschriftliche Kürzel "BXVI" - was belegt, dass sich der 85-Jährige um mehr Anliegen persönlich kümmert, als Kritiker bisweilen behaupten. Wie sehr ihm Vatileaks zusetzt, wurde kurz nach Erscheinen der Dokumentensammlung deutlich: Bei einer Mittwochsaudienz bekräftigte er öffentlich sein Vertrauen in seine engen Mitarbeiter.

Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone (77)
Wäre der Vatikan ein Konzern, hätte Bertone die Position eines geschäftsführenden Managers. Bei ihm laufen die Fäden aller vatikanischen Behörden und der diplomatischen Außenposten zusammen. Von Haus aus ist der aus einer kinderreichen Familie in Piemont stammende Italiener Kirchenrechtler. Als solcher arbeitete er von 1995 bis 2002 in der Glaubenskongregation für Kardinal Joseph Ratzinger als dessen rechte Hand. Als er vom neuen Papst 2006 zum Kardinalstaatssekretär ernannt wurde, bemängelten Kritiker seine fehlende diplomatische Erfahrung.

Bertone, der zugleich über den Salesianerorden gut vernetzt ist, versuchte in seiner Amtszeit die Rolle des Kardinalstaatssekretärs und den Einfluss auf die italienische Kirche zu stärken. Das macht ihn zum eigentlichen Ziel von Vatileaks. Nach dem unglücklichen Management der Affäre um den Traditionalisten und Holocaust-Leugner Richard Williamson schlugen einige Kardinäle dem Papst eine Entpflichtung Bertones zu seinem 75. Geburtstag vor. Benedikt XVI. schmetterte den Versuch laut den Geheimdokumenten brüsk ab: "Der Mann bleibt, wo er ist, und damit basta!" Dennoch gilt Bertones Position durch Vatileaks als geschwächt.

Federico Lombardi (69)
Der Vatikansprecher hat insofern einen sicheren Posten, als niemand mit ihm tauschen möchte. Bei dem Jesuiten und seiner Handvoll Mitarbeiter laufen Medienanfragen aus aller Welt an den Vatikan auf - und das sind derzeit ziemlich viele. Daneben bekleidet Lombardi noch die Leitungsposten bei Radio Vatikan und dem vatikanischen Fernsehzentrum und ist als Seelsorger tätig.

Seine Feuerprobe hatte er direkt nach seiner Ernennung zum Sprecher im Juli 2006 zu bestehen: Im September hielt der Papst seine "Regensburger Rede", die zu blutigen Protesten in der arabischen Welt führte. Damals wurde die mangelhafte Einbindung der vatikanischen Medienarbeit in die Leitungsebene deutlich. Das Problem wiederholte sich 2009 in der Affäre um den Traditionalistenbischof Richard Williamson. Seit Vatileaks führte Lombardi häufige Pressebriefings ein - ein Ansatz zu einer pro-aktiven Öffentlichkeitsarbeit.

Ettore Gotti Tedeschi (67)
Eher am Rande berührt Vatileaks auch den ehemaligen Chef der Vatikanbank IOR: Der Norditaliener Ettore Gotti Tedeschi, der unter anderem den italienischen Zweig der spanischen Bank Santander aufbaute und managte, wurde 2008 von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone mit der Sanierung der Finanzen des Vatikanstaates beauftragt. 2009 wurde er Chef des Aufsichtsrates in der Vatikanbank mit dem Auftrag, das Finanzmanagement zu professionalisieren und an internationale Normen gegen Geldwäsche anzupassen.

Ende Mai entzogen ihm die anderen Aufsichtsratsmitglieder das Vertrauen. Als Grund wurden eine unzureichende Erfüllung seiner Aufgaben und das Durchsickern von IOR-Dokumenten an die Öffentlichkeit genannt. Tatsache ist aber auch, dass Gotti Tedeschi teils andere Ansichten vertrat als Kardinal Bertone. Am 5. Juni wurden seine Wohnung in Piacenza und Büroräume in Mailand von der Staatsanwaltschaft durchsucht. Dabei ging es um Korruptionsvorwürfe im italienischen Konzern Finmeccanica. In diesem Zusammenhang interessiert sich die Justiz aber auch für mögliche Rechtsverstöße bei Finanztransaktionen der Vatikanbank.

Bischof Josef Clemens (65)
Als Sekretär und damit "zweiter Mann" im Päpstlichen Laienrat gehört Bischof Josef Clemens zu den ranghöchsten Deutschen im Vatikan - nach dem neuen Leiter der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, und nach dem Papst. Zuvor war der aus Siegen stammende Geistliche 19 Jahre lang Privatsekretär von Kardinal Joseph Ratzinger.

Clemens studierte Theologie am Collegium Germanicum in Rom und wurde dort 1975 zum Priester geweiht. Nach Kaplansjahren in Dortmund und Bielefeld kehrte er nach Rom zurück, wo er im Fach Moraltheologie mit einer Arbeit zum Thema Menschenrechte promoviert wurde. Während dieser Zeit holte Ratzinger den aus dem Erzbistum Paderborn stammenden Geistlichen in seine Dienste. Anfang 2003 wurde Clemens in eine vatikanische Leitungsfunktion befördert, als Untersekretär in die Ordenskongregation. Ein knappes Jahr später ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Bischof und versetzte ihn in den Laienrat. Dort ist er unter anderem für Planung und Organisation der Weltjugendtage zuständig.

Ingrid Stampa (62)
Ingrid Stampa ist eine der wenigen Frauen im vatikanischen Staatssekretariat. Laut Päpstlichem Jahrbuch gehört die ausgebildete Musik-Dozentin der deutschsprachigen Abteilung der Ersten Sektion dieser zentralen Vatikanbehörde an. Dort befasst sie sich vor allem mit der Übersetzung päpstlicher Texte vom Deutschen ins Italienische und umgekehrt.

Als Bedienstete des Staatssekretariats wohnt Stampa in einem Mehrparteienhaus im Vatikan, in dem auch der unter Hausarrest stehende päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele mit seiner Familie lebt. Seit 1991 stand die im niederrheinischen Uedem gebürtige Stampa in besonderen Diensten des damaligen Kurienkardinals Ratzinger. Nach dem Tod von dessen Schwester Maria führte sie dessen Haushalt in unmittelbarer Nähe des Vatikan. Zudem verband sie mit ihm die Liebe zur Musik und das gemeinsame Musizieren. Nach der Wahl Ratzingers zum Papst im April 2005 nahm sie an der ersten Inspektion der päpstlichen Gemächer im Apostolischen Palast teil. Das rief bei manchen in der Kurie Befremden hervor. Die Haushaltsführung übernahmen dann vier Schwestern der geistlichen Gemeinschaft "Memores Domini".

Kardinal Paolo Sardi (77)
Als Patron des souveränen Malteser-Ordens bekleidet der aus Norditalien stammende Vatikandiplomat Kardinal Paolo Sardi (77) ein protokollarisch bedeutsames Amt. Sardi gehört zudem dem Obersten Gerichtshof der Apostolischen Signatur an, dem höchsten Gericht der katholischen Kirche. Auch innerhalb des Vatikanstaates ist er am obersten Gericht tätig: Er gehört zum dreiköpfigen Kardinalsgremium, das dem Kassationsgericht vorsteht. In einem möglichen Prozess in Sachen "Vatileaks" säße er somit in der obersten Instanz.

1934 in Ricaldone bei Alessandria geboren, empfing Sardi 1958 die Priesterweihe und trat schon unter Papst Paul VI. (1963-1978) ins vatikanische Staatssekretariat ein. Dort wurde er bald Abteilungsleiter. Nach seiner Bischofweihe 1996 bekleidete er das Amt eine Sondernuntius. In dieser Zeit war er der wichtigste Redenschreiber des Papstes. 2004 wurde Sardi Vize-Camerlengo der Kirche und übernahm damit wichtige Funktionen nach dem Tod des Papstes. Mit der Ernennung zum Kardinal 2010 gab er das Amt des Vize-Camerlengo wieder ab.