Die älteste deutsche Autobahnkirche im bayerischen Adelsried

Ein halbes Jahrhundert Rast für die Seele

Der Mann mit der modischen Sonnenbrille ist braungebrannt, sein hellblaues Hemd und die schwarze Hose wirken elegant. Er bekreuzigt sich, dreht sich um und eilt zu seinem schwarzen Porsche Carrera, den er direkt vor der Kirche abgestellt hat. Nun rollt sein Wagen von der Autobahnkirche bei Adelsried im Landkreis Augsburg wieder zurück auf die A8.

Autor/in:
Jutta Olschewski
 (DR)

Jeder dritte Besucher von Autobahnkapellen betritt in seiner Heimatgemeinde so gut wie nie die Kirche, vermutet Dominikanerpater Wolfram Hoyer. Der
bärtige Mann in der weißen Kutte seines Ordens ist Seelsorger in "Maria
Schutz der Reisenden" an der Autobahn zwischen München und Stuttgart. Sie wurde vor knapp 50 Jahren geweiht, am 12. Oktober 1958, und war damit die erste Autobahnkirche Deutschlands.

Ein Augsburger Unternehmer stiftete damals Grundstück und Rohbau der
Kirche, die in moderner Architektur einer typischen bayerischen Dorfkirche
nachempfunden ist. Am diesjährigen Tag der Autobahnkirchen (3. August)
findet hier ein Festgottesdienst statt, den das ZDF überträgt.

Inzwischen gibt es in ganz Deutschland 32 evangelische, katholische und
ökumenische "Tankstellen für die Seele", wie Pater Wolfram die
Autobahnkirchen gerne nennt. Elf dieser modernen Pilgerorte sind erst in
den vergangenen zehn Jahren errichtet worden. "Hier entschleunigen sich die Menschen innerlich und äußerlich", sagt Wolfram Hoyer.

Das Bedürfnis nach Stille und Rast hat an der Ausfahrt Adelsried aus einer
Wegkapelle eine Autobahnkirche gemacht. "Ein kluges Konzept gab es damals nicht", erzählt der Dominikanerpater. Vielmehr habe die große Zahl der Reisenden, die von der Autobahn zu der Kapelle abfuhren, eine Situation
geschaffen, auf die die Kirche reagiert habe.

"Autobahnkirchen sind keine Attraktionen, sondern wir sind nett, klein und
stillen ein lebendiges Bedürfnis", formuliert Hoyer. Wie groß dieses
Bedürfnis ist, lässt sich daran messen, dass mehrere hunderttausend
Besucher pro Jahr an der größten Autobahnkirche in Deutschland stoppen, der St.Christophorus-Kirche an der A5 bei Baden-Baden.

Pater Wolfram hat nicht gezählt, wie viele Menschen jährlich an seiner
Kirche Halt machen. Er weiß nicht, wer von ihnen Urlauber ist und wer
geschäftlich auf Achse. Nur soviel: Er kauft für die kleine Kirche 147.000
Opfer-Kerzen im Jahr, und dreimal jährlich legt er ein neues "Anliegenbuch"
mit 1.000 frischen weißen Seiten auf den Schriftentisch, die dann nach
einigen Monaten eng beschrieben sind.

"Ich bitte um Hilfe, um aus der Sch... herauszukommen, in der ich stecke",
klagt "U." sein Leid. "Danke für meine neue Frau und beschütze meine
Ex-Lebensgefährtin", schreibt ein anderer. Man dankt für die bestandene
Fahrprüfung, viele vertrauen dem Buch an, dass ein Familienmitglied schwer
krank ist. "Ich habe meine kleine Katze verloren, mach', dass sie in den
Katzenhimmel kommt", hat sich einer von der Seele geschrieben.

"Das Attraktive an der Autobahnkirche ist die Anonymität", sagt Pater
Wolfram. "Die Leute wollen hier ihre Ruhe haben". - Die können sie 365 Tage
im Jahr Tag und Nacht an der Ausfahrt Nummer 71 bei Adelsried finden.

Während woanders Kirchen um Gaben betteln müssen, füllt sich der Opferstock am Rande der Straße beinahe wundersam wie von selbst. Das Kuratorium der Autobahnkirche könne den laufenden Unterhalt des Gotteshauses aus Spenden bestreiten und eine Mesnerin ganztags beschäftigen, sagt Wolfram Hoyer stolz.

Besonders an den Feiertagen hat sie alle Hände voll zu tun: Am Heiligen
Abend versammeln sich meist mehr als 1.200 Menschen. Jeden Sonntag lädt
Pater Wolfram dreimal zum Gottesdienst, ohne Orgel, mit A-capella-Gesang
und einfachster Liturgie. Zu diesen Feiern strömen 800, in der Ferienzeit
mehr als 1.000 Menschen.

Währenddessen herrscht in der Pfarrkirche "St. Johannes Baptist" im zwei
Kilometer entfernten Ort Adelsried zur gleichen Zeit kirchliche Normalität:
Ein Dutzend ältere Frauen und Männer und ein paar Kommunionkinder sind zur Sonntagsmesse versammelt.