Diakoniepräsident Lilie kritisiert Integrationsprozess

"Integration ist ein Marathonlauf"

​Diakoniepräsident Ulrich Lilie dringt auf mehr Tempo bei der Eingliederung von Flüchtlingen. Er fordert, die Menschen so schnell wie möglich in Arbeit zu bringen, anstatt sie in Ämtern und bei Behörden warten zu lassen.

Ein Flüchtling beim Integrationskurs / © Julian Stratenschulte (dpa)
Ein Flüchtling beim Integrationskurs / © Julian Stratenschulte ( dpa )

"Wenn wir zu lange brauchen, arbeiten wir heute an der Parallelgesellschaft von morgen", warnte Diakoniepräsident Ulrich Lilie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) über die Flüchtlingssituation. Er kritisierte insbesondere unnötige Verzögerungen im Integrationsprozess durch "behäbige Verfahren". Häufig klemme es an den Schnittstellen: Das eine Amt warte auf das andere. "Diese Denke können wir uns nicht erlauben."

Eine Kultur der Kooperation und Integration sei nötig, befand der Präsident von Diakonie Deutschland und schlug Runde Tische sowie kommunale Bündnisse für Integration vor. "Integration ist ein Marathonlauf, der gerade erst beginnt", sagte er.

"Wirtschaft ist ungeduldig"

Flüchtlinge müssten derzeit etwa 15 bis 18 Monate auf die Bearbeitung ihres Falls warten. "In dieser Zeit organisieren sie sich selbstverständlich selber. Wenn dann erst die Instrumente der Bundesagentur greifen, ist es viel zu spät", lamentierte Lilie. Abhilfe schaffe indes das Engagement von Freiwilligen: zum Beispiel in Kirchengemeinden, in Diakonie und anderen Wohlfahrtsverbänden, zunehmend aber auch in der Wirtschaft.

Gerade die Wirtschaft könne von den Flüchtlingen profitieren. "Es geht darum, jetzt rasch Menschen in Arbeit zu bringen", betonte Lilie. "Gemeinsame Arbeit mit anderen ist der schnellste Weg, in die deutsche Sprache und Kultur zu finden." Der Diakoniepräsident forderte in dem Zusammenhang eine stärkere Vernetzung von Migrationsdiensten, Sozialämtern, der Bundesagentur und Ehrenamtlichen.

"Abschottung ist keine Lösung"

Von einem "notariellen Ende der Willkommenskultur", wie es der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer genannt hatte, dürfe keine Rede sein. Ein solches Votum sei "unsäglich", sagte Lilie. Die Hilfsbereitschaft sei ein "Schatz der Zivilgesellschaft, der nicht leichtfertig durch populistische Sprüche konterkariert werden darf", so der Chef des evangelischen Sozialwerks der Nachrichtenagentur epd.

Politisch handele es sich um eine komplexe Aufgabe, bei der viele Faktoren gleichzeitig zu beachten seien. Zwar habe er Verständnis für das Handeln der Regierung, aber "auch ich selbst habe erhebliche Fragen an die Türkei-Lösung." Faire Asylverfahren und Menschenrechte müssten gewahrt bleiben. Auch Abschottung könne keine Lösung sein. " Wir werden weiter und mit Nachdruck darüber reden müssen, wie Flüchtlinge aus ihren Herkunftsländern sicher und direkt nach Europa kommen können."

Europäische Union müsse zusammenhalten

"Wir fordern zusammen mit vielen Anderen seit langem ein europäisches Resettlementprogramm mit einer klaren Verantwortungsübernahme aller EU-Staaten", betonte Lilie.  Es brauche einer gemeinsamen Haltung in der EU. Das Menschenrechtsprojekt Europa werde anderenfalls nachhaltig beschädigt.

Ulrich Lilie steht seit zwei Jahren an der Spitze des Bundesverbandes Diakonie Deutschland, dem Sozialwerk der evangelischen Kirche. Die Diakonie beschäftigt bundesweit rund 460.000 feste und 700.000 ehrenamtliche Mitarbeiter und leistet Hilfe für rund zehn Millionen Menschen.

 


Quelle:
epd