Deutschland gewährt unbegleiteten Flüchtlingskindern keine ausreichende Betreuung

Jugendschutz nur für drei Monate

Europas Außengrenzen sind fest verschlossen: Auch für Kinder und Jugendliche, die sich aus Kriegs- und Krisengebieten alleine nach Europa auf den Weg machen. Doch selbst wenn es ihnen gelungen ist, einen sicheren EU-Staat zu erreichen, wird ihnen hier selten der Schutz gewährt, der ihnen laut UN-Kinderrechtskonvention zusteht.

Autor/in:
Ingrid Jennert
 (DR)

Auch in Deutschland besteht dringender Reformbedarf, sagen Experten und kritisieren Verstöße gegen den Jugendschutz. Der Blick nach Baden-Württemberg zeigt eine Variante, wie die Behörden mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen umgehen.
Zunächst werden sie zentral in einer Jugendhilfeeinrichtung der Karlsruher Heimstiftung untergebracht. Dort wird ein sogenanntes Clearingverfahren eingeleitet, wie es im Kinder- und Jugendschutzgesetz vorgesehen ist: Psychologen und Pädagogen erfragen dabei unter anderem die Vorgeschichte der jungen Flüchtlinge, um ihre besonderen Bedürfnisse festzustellen.

Die «Aufnahmegruppe für junge Migranten» ist in einem schmucklosen Wohnblock in Karlsruhe untergebracht. Auf zwei Stockwerken leben hier männliche Flüchtlinge im Alter zwischen 15 und 18 Jahren. Mädchen werden in die «Aufnahmegruppe für Kinder und Jugendliche» gebracht, wo auch minderjährige Deutsche Zuflucht finden, etwa, wenn sie von zu Hause weggelaufen sind.

Oft noch Kinder
«Die Flüchtlinge müssen erst mal zur Ruhe kommen», sagt Thorsten Grotemeyer, der in der Aufnahmegruppe für junge Migranten arbeitet. «Es sind oft noch Kinder, die hier nur mit dem, was sie auf dem Leib tragen, ankommen.» Sie wurden meist irgendwo im Lande von einem Laster abgesetzt, versehen mit spärlichen Anweisungen, was sie sagen und wo sie sich hinwenden sollen. Meist seien sie voller Angst, wie es weitergehe, berichtet der Fachmann. Über ihnen hänge das Damoklesschwert der Abschiebehaft und der Abschiebung.

Der geregelte Tagesablauf in der Aufnahmegruppe hilft den Jugendlichen, sich zurechtzufinden. Der Deutschunterricht von Nihad Becakcikc ist das wichtigste von mehreren kulturellen und auch sportlichen Angeboten. Grotemeyer kritisiert den «unsinnigen» Verteilerschlüssel, der nach dem rund dreimonatigen Aufenthalt der Minderjährigen in seiner Einrichtung keinen Spielraum für die Wahl eines neuen Wohnortes nach den Bedürfnissen des Jugendlichen lässt. Nicht immer kommen die psychisch oft instabilen Flüchtlinge in eine sozialpädagogisch betreute Einrichtung der Jugendhilfe. Und was nicht weniger problematisch ist: Dortige Vormünder seien oft nicht mit den Schwierigkeiten in Asylverfahren vertraut.
Reformbedarf erkannt
Längst sieht man auch in amtlichen Stellen Reformbedarf. In seinen Erhebungen über die Situation in Deutschland kommt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinem «Working Paper 26» zu Erkenntnissen, die weitgehend den Forderungen des «Bundesfachverbandes für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge» in München entsprechen. Das Bundesamt fordert nicht nur eine genauere Datenerhebung, um besser auf die Herausforderungen durch die jungen Flüchtlinge reagieren zu können, sondern hält auch die Klage des Fachverbandes über die unterschiedliche Behandlung der Kinder und Jugendlichen je nach Bundesland oder Ausländerbehörde für berechtigt.

Dem Bundesfachverband ist ein Zusammenschluss von Fachleuten und Hilfsorganisationen. Im vergangenen Oktober hat er die Studie «Zwischen Angst und Hoffnung ­ Kindersoldaten als Flüchtlinge in Deutschland» veröffentlicht, die zusammen mit Terre des Hommes erstellt wurde. Mit Blick auf die Resultate dieser Erhebung mahnt der Verband «dringend einschneidende Verbesserungen bei der Aufnahme und im Asylverfahren» von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen an.

Verband: Legale Einreise ermöglichen
Wegen der Diskrepanz von Ausländerrecht und Jugendschutz bleibe den Behörden Interpretationsspielraum, räumt das Bundesamt ein.
Sinnvoll sei daher die vom Fachverband angeregte Einrichtung von Clearingstellen, um alle jugendlichen Flüchtlinge vorschriftsmäßig in Obhut zu nehmen und nach einheitlichen Standards aufzunehmen und zu betreuen.

Der Verband spricht sich zudem dafür aus, Betroffene vor der Abschiebung zu schützen und ihre legale Einreise zu ermöglichen. Weiterhin sollten spezifische Asylgründe für unbegeitete Kinder und Jugendliche eingeräumt werden, etwa der Einsatz als Kindersoldat, regimekritische Äußerungen ihrer Eltern, Kindersklaverei oder die fehlende Perspektive auf ein menschenwürdiges Leben.