Deutsches Aktionsbündnis gegen Aids zur Weltaidskonferenz

"Hunderttausende medizinische Fachkräfte fehlen"

Von Sonntag bis 18. August bestreiten mehrere Tausend Vertreter von Regierungen und NGOs, Medizin und Wissenschaft, Pharma-Industrie und Entwicklungsorganisationen die Weltaidskonferenz in Toronto. Es geht um eine globale Bestandsaufnahme im Kampf gegen das tödliche HI-Virus. Der Geschäftsführer des deutschen Aktionsbündnis gegen Aids, Rainer Seybold, will die Konferenz nutzen, um den Druck für eine bessere Aidsarbeit in armen Staaten zu erhöhen, wie er im Interview der katholischen Nachrichten-Agentur erläuterte.KNA: Herr Seybold, in regelmäßigen Abständen treffen sich Regierungen, Mediziner und Nichtregierungsorganisationen zu Aidskonferenzen.

 (DR)

Von Sonntag bis 18. August bestreiten mehrere Tausend Vertreter von Regierungen und NGOs, Medizin und Wissenschaft, Pharma-Industrie und Entwicklungsorganisationen die Weltaidskonferenz in Toronto. Es geht um eine globale Bestandsaufnahme im Kampf gegen das tödliche HI-Virus. Der Geschäftsführer des deutschen Aktionsbündnis gegen Aids, Rainer Seybold, will die Konferenz nutzen, um den Druck für eine bessere Aidsarbeit in armen Staaten zu erhöhen, wie er im Interview der katholischen Nachrichten-Agentur erläuterte.

KNA: Herr Seybold, in regelmäßigen Abständen treffen sich Regierungen, Mediziner und Nichtregierungsorganisationen zu Aidskonferenzen. Warum nun in Toronto schon wieder?

Seybold: Ich gebe zu: Wir haben viele Konferenzen, die nicht immer greifbare Ergebnisse bringen. Aber wir brauchen einen Rhythmus von internationalen Expertentreffen, um uns über Erfolge und Rückschläge im Kampf gegen Aids auszutauschen. Zum Glück gibt es positive Entwicklungen, etwa bei besseren Therapien und breiterem Zugang zu Medikamenten, Aufklärung und Präventionsinformationen. Andererseits gibt es in vielen Staaten, vor allem in Afrika, steigende Zahlen von Neuinfektionen.

KNA: Was kann die Weltaidskonferenzin Toronto also leisten?

Seybold: Sie muss alle Akteure an einen Tisch bringen. Denn klar ist, dass wir neue Strukturen im Gesundheitswesen der am stärksten betroffenen Ländern brauchen. Dort fehlen Hunderttausende medizinische Fachkräfte. Auch die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) will nach Toronto fahren. Begrüßenswert wäre, wenn die Bundesregierung dabei auch eine konkrete Erhöhung ihrer Mittel zur HIV-Bekämpfung ankündigen würde.

KNA: Woran liegt es, dass vor allem die ländlichen Regionen in vielen Staaten kaum funktionierende Strukturen im medizinischen Bereich haben?

Seybold: Hier liegt eine große Verantwortung bei den jeweiligen Regierungen. Aber auch westliche Staaten könnten dazu beitragen, dass nicht immer mehr gut ausgebildete medizinische Kräfte Entwicklungsstaaten verlassen. Denn auch dies trägt zur Misere bei. In Großbritannien beispielsweise kommt ein Großteil der Angestellten im Gesundheitsbereich aus armen Ländern. Dieser "brain drain" muss aufhören.

KNA: Können wir Aids in den nächsten zehn Jahren besiegen?

Seybold: Ich bin nicht sicher, dass wir das HI-Virus schnell in den Griff bekommen. Einige Wissenschaftler zeigen sich optimistisch, in fünf Jahren eine therapeutische Impfung auf den Markt bringen zu können. Damit kann zwar nicht eine Ansteckung, aber die tödliche Wirkung des Virus ausgeschaltet werden. Ich warne vor zu großen Hoffnungen.

KNA: Aber dürfte auch bei den Impfungen nicht ein schon jetzt akutes Problem erhalten bleiben: der mangelnde Zugang zu Therapien für ein Großteil der Kranken?

Seybold: Ja. Insgesamt wird in den nächsten Monaten nur jeder fünfte von sechs Millionen Patienten die überlebensnotwendigen retroviralen Medikamente erhalten. In den Sub-Sahara-Staaten ist es sogar nur jeder zehnte. Auch deshalb wollen wir die Konferenz nutzen, um den Druck auf Pharmaunternehmen und die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen.

KNA: Hat sich da in den vergangenen Jahren etwas getan?

Seybold: Wir erleben Fortschritte. So gibt es die so genannten Generika, also billige Nachahmer-Medikamente, die etwa in Indien produziert werden. Nachdem dort aber auch die Patentregeln der Welthandelsorganisation WTO in Kraft getreten sind, wird es eng.
Auch mit deutscher Unterstützung gibt es derzeit Versuche, neue Standorte in den ärmsten afrikanischen Entwicklungsländern zu finden.

KNA: Wie sieht es bei den Rahmenbedingungen für Entwicklungshilfe aus?

Seybold: Es bleibt leider noch viel zu viel zu tun. Viele entlegene Gebiete werden bei Aufklärung, Prävention und medizinischer Versorgung bei Infektion nicht erreicht. Dabei müssten auch die internationalen Geberstaaten mehr tun: noch größere Entschuldung etwa. Und sie müssten ihre Hilfsgelder nur unter der Bedingung zahlen, dass ins Gesundheitswesen investiert wird. Das ist manchmal sogar umgekehrt, etwa wenn als Bedingung für Unterstützung ein Sparkurs im Land gefordert wird. Und dann das Sozial- oder Gesundheitswesen geschwächt wird.

KNA: Sie vertreten als bundesweites Netzwerk etwa 100 überregional und 260 lokal tätige Mitgliedsorganisationen, darunter viele kirchliche Gruppen - vom großen Hilfswerk wie Misereor oder Missio bis zur Kirchengemeinde. Was kann ein spezifisch kirchlicher Beitrag zur Aidsbekämpfung sein?

Seybold: Kirchen können oft auf breit gefächerte Strukturen vor Ort zurückgreifen. Besonders bemerkenswert sind dabei Hilfen zur Selbsthilfe. In diesen Projekten werden HIV-Positive mit einbezogen. Das müsste noch mehr Schule machen. Ein wichtiger kirchlicher Beitrag ist auch das Bemühen, die Stigmatisierung und die gesellschaftliche Isolierung von Kranken zu bekämpfen.

KNA: Ist Aids damit nur noch ein Problem der Armen in Afrika?

Seybold: Nein, das sehe ich auf keinen Fall so. Auch in Deutschland dürfen die Anstrengungen nicht nachlassen. Wir kritisieren besonders, dass in vielen Schulen zu wenig an Aufklärungsarbeit geschieht. Das geht oft nur auf die Initiative einzelner Lehrer zurück. Wir haben in der Bundesrepublik derzeit etwa 49.000 HIV-Positive. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Neuinfektionen um fast 300 auf 2.490. Das ist kein Anlass für Panik. Aber auch kein Grund zum Aufatmen.

Interview: Volker Hasenauer (KNA)