Deutscher Truppenabzug ab 2012 geplant

Licht und Schatten in Afghanistan

Deutschland will ab 2012 seine Truppen aus Afghanistan schrittweise abziehen. Das geht aus dem Fortschrittsbericht der Bundesregierung an den Bundestag hervor. Darin wird erstmals neun Jahre nach dem Start des Afghanistan-Einsatzes eine offizielle Zwischenbilanz gezogen - mit einem sehr gemischten Ergebnis.

Autor/in:
André Spangenberg
 (DR)

Neben Erfolgen im Bildungswesen sowie in der Strom- und Wasserversorgung wird in dem gut 100-seitigen Bericht die anhaltende Korruption angeprangert und die Menschenrechtslage als unzureichend eingeschätzt.



Kritisch wird in dem am Montag (13.12.2010) in Berlin vorgelegten Bericht zudem die Sicherheitslage bewertet. "2010 wurde zum verlustreichsten Jahr der internationalen Militärpräsenz", heißt es in dem Papier. Das liege zum einen am deutlichen Aufwuchs der Internationalen Schutztruppe ISAF auf mehr als 130.000 Soldaten und zum anderen an der "gestiegenen Operationsdichte". Nach NATO-Angaben sind inzwischen kaum noch "weiße Flecken" auf der ISAF-Landkarte von Afghanistan zu finden. Damit seien die radikal-islamische Taliban landesweit unter Druck geraten.



Sonderbeauftragter Steiner sieht "ehrlichen Bericht"

Der deutsche Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan, Michael Steiner, nannte den von den vier zuständigen Ministerien erstellten Bericht "ehrlich". Es werde "bewusst Licht und Schatten" des deutschen Engagements am Hindukusch aufgeführt. Zugleich stelle Deutschland unmissverständlich klar, dass es beim Truppenabzug keine überstürzten Entscheidungen geben werde. Der Grundsatz "gemeinsam rein, gemeinsam raus" gelte weiterhin.



Von deutscher Seite wurde darauf hingewiesen, dass das Jahr 2010 einen Strategiewechsel für die internationale Gemeinschaft gebracht habe. Mit der Londoner Afghanistan-Konferenz Anfang des Jahres sei Realismus eingekehrt. Drei Punkte bestimmten jetzt das internationale Engagement: Die Schaffung von hinreichender Sicherheit und Gewährleistung fundamentaler Menschenrechte, zweitens der Beginn eines innerafghanischen Versöhnungsprozesses sowie drittens ein Konzept zur Übergabe der Sicherheitsverantwortung bis Ende 2014.



Verantwortung in afghanische Hände bringt Grundlage für Abzug

Bereits im ersten Halbjahr kommenden Jahres sollen die ersten von der ISAF kontrollierten Regionen am Hindukusch in afghanische Verantwortung übergeben werden. Erwartet wird, dass darunter auch eine Region im Norden des Landes ist, der unter deutscher Verantwortung steht. "Die Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitsbehörden bedeutet nicht per se einen Abzug, sondern ist die Voraussetzung dafür", hieß es in Regierungskreisen. Dieser Transitionsprozess werde "nicht sofort zu einem Abzug von Soldaten führen", sondern laut Bericht "eine klare Perspektive ab 2012" eröffnen.



Ziel der 48 ISAF-Staaten ist es, ab 2015 keine Kampftruppen in Afghanistan mehr auf der Straße zu haben. Zugleich soll Afghanistan für die Staatengemeinschaft auch nach dem Abzug ihrer Kampftruppen eine "langfristige Aufgabe" bleiben. Konkrete Schritte dafür Ende nächsten Jahres auf einer neuen Afghanistan-Konferenz im Lichte der ersten regionalen Übergaben besprochen werden. Dieses Treffen wird Ende November/Anfang Dezember 2011 in Bonn stattfinden, wo mit der Petersberger Konferenz Ende 2001 das internationale Afghanistan-Engagement begann.



Einsatz auch am Hindukusch im Umfragetief

Gut neun Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes hat einer jüngsten Umfrage zufolge das Ansehen des Westens in der afghanischen Bevölkerung ein Allzeittief erreicht. Zwei Drittel der Bevölkerung stellen den Verbündeten ein negatives Zeugnis aus, wie aus der vor einer Woche veröffentlichten repräsentativen Umfrage von ARD, ABC, BBC und der "Washington Post" hervorgeht. Befragt wurden 1.691 Afghanen in allen 34 Provinzen des Landes.



Besonders dramatisch ist laut Umfrage der Sympathieverlust der Deutschen im Nordosten des Landes, dem Einsatzgebiet der Bundeswehr. Deutschland habe sein traditionell gutes Ansehen und seinen Vertrauensvorschuss eingebüßt, hieß es. Hatten im Sommer 2007 noch 75 Prozent der Afghanen im Nordosten ein positives Bild von Deutschland, so ist es heute mit 46 Prozent erstmals nur noch eine Minderheit.