Deutscher Pflegekongress mit brisanten Themen

Berufe im Schatten

Streitpunkte gibt es viele: Es geht um eine Stärkung der Pflegeberufe, Noten für die Pflege, eine Familienpflegezeit, eine Reform der Pflegeversicherung und auch ums liebe Geld. Der nun in Berlin beginnende "Deutsche Pflegekongress 2011" könnte neue Perspektiven aufzeigen.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Es ist ein Thema mit Zukunft - und doch alles andere als sexy. 2,2 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig, und es werden immer mehr. Die Nachfrage nach Pflegeleistungen wird deshalb in den kommenden Jahren stark steigen. Zugleich wächst der Druck auf die Pflegeversicherung. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hat 2011 deshalb zum "Jahr der Pflege" ausgerufen.



Bislang ist die Pflege ein Job-Motor: Auf jährlich mehr als 50 Milliarden Euro belaufen sich die Pflegeleistungen pro Jahr, hat der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen kürzlich vorgerechnet. Das sind rund 2,1 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Die Branche beschäftigt mit 1,12 Millionen Mitarbeitern mehr Menschen als Automobilindustrie, Elektroindustrie oder Maschinenbau. Laut einem Bericht der TU Darmstadt stieg die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich zwischen 1996 und 2008 um

50 Prozent oder durchschnittlich 3,7 Prozent pro Jahr.



Doch klar ist, dass das für die Zukunft nicht reicht. Pflegeanbieter und Sozialverbände reden vom Pflegekollaps. Nach Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes werden im Jahr 2025 rund 152.000 Beschäftigte in Pflegeberufen fehlen, um die dann zu erwartende Zahl an Krankenhauspatienten und Pflegebedürftigen versorgen zu können. Denn die Deutschen werden immer älter, und auch die Pflegekräfte kommen in die Jahre; schon 23 Prozent sind über 50 Jahre alt. Und der Nachwuchs droht auszubleiben, weil Image und Bezahlung schlecht sind und der Druck zunimmt. Von "Berufen im Schatten" spricht deshalb die Dortmunder Sozialwissenschaftlerin Ute Luise Fischer.



Verdopplung der Pflegefälle

Nach Schätzungen Raffelhüschens wird sich die Anzahl der Pflegefälle bis zum Jahr 2050 auf 4,1 Millionen fast verdoppeln. Hinzu kommt eine Entwicklung, auf die die Krankenkasse Barmer GEK hingewiesen hat: Immer mehr Menschen leiden unter Demenz. 1,2 Millionen sind es bereits jetzt; in 20 Jahren könnte die Zahl auf 1,8 Millionen steigen. Deshalb rechnen Experten mit einer verstärkten Inanspruchnahme professioneller Heimpflege und ambulanter Pflegedienste. Umgekehrt wird die häusliche Pflege immer schwieriger, weil immer mehr Frauen berufstätig werden und Haushalts- und Familienstrukturen sich ändern. Schon heute sinkt der Anteil derjenigen, die zu Hause gepflegt werden: von 77 Prozent 1996 auf 68 Prozent im Jahr 2004 und knapp über 50 Prozent 2007.



Pflege ist damit ein Wachstumsmarkt - aber ein schwieriger. Denn das Berufsbild wirkt bislang wenig attraktiv. Rückenbeschwerden, Stress, Burnout sowie Frust über fehlende Aufstiegschancen und geringe Entscheidungsspielräume: Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) sieht deutliche Alarmzeichen. Die Pflegekräfte seien häufiger gesundheitlich angeschlagen als andere Beschäftigte, betont sie. Gedanken an einen Berufsausstieg lägen da oft nicht fern.



Kein Wunder, dass die Debatte über die Zukunft der Pflege heftig geführt wird. Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband ist deshalb

klar: Es führt kein Weg daran vorbei, mehr Geld ins System zu bringen. "Die Gesellschaft muss sich entscheiden, was gute Pflege ihr wert ist", sagt der Verbandsvorsitzende Eberhard Jüttner. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) und der Deutsche Pflegerat haben eine Reform der Ausbildung im Pflegebereich vorgeschlagen. Alten- und Krankenpflege sollen in einer dreijährigen Ausbildung mit einem einheitlichen Berufsabschluss zusammengefasst und attraktiver werden. Bayern will als erstes Bundesland eine Pflegekammer einführen. Damit sollen die Pflegekräfte den Berufsvertretungen von Apothekern und Ärzten gleichgestellt werden.