Deutscher Journalist in Afghanistan vermisst

Erneute Entführung

Eine Woche nach der Entführung zweier deutscher Ingenieure ist in Afghanistan offenbar ein weiterer Bundesbürger in die Hände von Geiselnehmern geraten. Möglicherweise handelt es sich um einen Reporter des Hamburger Magazins «Stern». Der afghanische Geheimdienst NDS bestätigte nach ARD-Informationen am Mittwoch den Entführungsfall. Das Auswärtige Amt geht den Hinweisen nach.

 (DR)

Nach Informationen des ARD-Hörfunkstudios in Kabul aus Sicherheitskreisen soll sich der Journalist zusammen mit einem afghanischen Dolmetscher in einem Dorf der Provinz Kunar aufgehalten haben, wo vor etwa zwei Wochen Zivilisten bei einem Luftangriff der NATO getötet worden waren. Demnach seien die beiden zum Übernachten in ein Privathaus eingeladen worden. In der Nacht zum Mittwoch hätten Rebellen beide Männer verschleppt.

Die Entführung ereignete sich nach Informationen der Nachrichtenagentur ddp 200 Kilometer östlich von Kabul, rund 15 Kilometer von der pakistanischen Grenze. Die Bergregion Kunar gilt als Hochburg der radikal-islamischen Taliban, zumal das pakistanische Grenzgebiet nicht von der pakistanischen Armee beherrscht wird. Die Amerikaner liefern sich dort immer wieder heftige Gefechte mit den Aufständischen.

Nach ARD-Informationen steckt hinter der Entführung womöglich die extremistische Gruppe des Ex-Premiers Gulbuddin Hekmatyar, der in Verbindung zum Terrornetzwerk Al-Qaida steht. Dies wurde aber bislang nicht bestätigt. Auch mögliche Forderungen der Entführer wurden zunächst nicht bekannt.

Das Auswärtige Amt in Berlin teilte zunächst nur mit, dass die deutsche Botschaft in Kabul Hinweisen über den Entführungsfall nachgehe. Man bemühe sich um rasche Aufklärung des Sachverhalts, sagte Außenamtssprecher Martin Jäger.
Die Chefredaktion des "Stern" teilte mit, dass der Kontakt zu seinem Korrespondenten Christoph Reuter abgerissen sei. "Wir machen uns jetzt große Sorgen um Christoph Reuter und versuchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen", sagte Chefredakteur Thomas Osterkorn in Hamburg. Der Afghanistan-Korrespondent habe zuletzt von Hamburg aus mit Journalisten vor Ort eine Umfrage unter Afghanen organisiert, ob die Bundeswehr im Lande bleiben soll oder nicht.

Anschließend habe Reuter einen lange geplanten Urlaub angetreten. "Nach unseren Informationen flog er nach Afghanistan", sagte Osterkorn. Reuter kenne das Land sehr gut, weil er in den vergangenen Jahren immer wieder für das Magazin dort gewesen sei und viele Reportagen gemacht habe.

Im Bezirk Watapur, in dem sich Reuter aufgehalten haben soll, worden sein soll, waren vor drei Wochen nach Angaben von Bewohnern 35 Zivilisten durch Luftangriffe der internationalen Schutztruppe ISAF ums Leben gekommen. Die ISAF hatte dies dementiert. Diese Ereignisse waren offenbar Ziel der Recherchen des Journalisten.

Seit mehr als einer Woche befindet sich in Afghanistan ein deutscher Ingenieur in Geiselhaft. Ein weiterer entführter Deutscher, sein Kollege Rüdiger D., war während der Geiselhaft gestorben. Seine Leiche sollte am Mittwoch nach Deutschland überführt und am Donnerstag obduziert werden.

Die beiden Mitarbeiter einer Baufirma waren in der Provinz Wardak, 100 Kilometer südwestlich der Hauptstadt, verschleppt worden. Bei den Entführern soll es sich um eine paschtunische Bande handeln, die nicht der Taliban-Führung untersteht, sondern offenbar eher kriminelle Motive verfolgt.

Die Arbeit der Kinderhilfe-Afghanistan
"Der Auftrag der Bundeswehr muss sich dramatisch ändern", fordert Dr. Reinhard Erös im domradio-Interview. Der Oberstabsarzt a.D. arbeitete als ärztlicher Leiter einer deutschen Hilfsorganisation im afghanischen Kriegsgebiet und lebte drei Jahre in Peschawar.  1998 gründete er die Kinderhilfe Afghanistan.

Die Sicherheitslage könne langfristig nicht durch ausländische Soldaten gesichert werden. Doch 40.000 Nato-Soldaten hätten es nicht geschafft, mehr als 30.000 Afghanen auszubilden, kritisiert Dr. Erös. Die afghanischen Soldaten wären zudem schlecht ausgebildet, schlecht ausgestattet und schlecht bezahlt. Der Auftrag der Bundeswehr müsse sich in diese Richtung ändern. Den Bau von Brücken, Schulen und Krankenhäuser könnten Baufirmen und zivile Organisation billiger ausführen.

Auf diesem Gebiet engagiert sich auch die Kinderhilfe-Afghanistan, die Dr. Erös 1998 gründete. Im Osten Afghanistans betreibt seine Initiative inzwischen 18 Schulen für 45.000 Kinder. Viele Afghanen würden ihre Kinder auf Koranschulen schicken, weil es keine zivilen Schulen gäbe. "Wer Tornados nach Afghanistan schickt, hilft den Taliban. Mit Lehrern und Ärzten hingegen wären sie zu bekämpfen", so Dr. Erös. Mit dem Geld für die Tornadoflüge könnte seine Organisation 1000 Schulen bauen.

Derzeit ist die Bundeswehr mit rund 3000 Mann am Hindukusch präsent, womit Deutschland zu den größten Truppenstellern der Internationalen Schutztruppe ISAF zählt. Koenigs warnte davor, dieses Engagement wegen der zunehmenden Anschläge oder wegen Erpressungen und Entführungen einzustellen. Es werde für den Aufbau Afghanistans "ganz entscheiden darauf ankommen", dass wichtige Partner wie Deutschland "Kurs halten", betonte der UN-Sonderbeauftragte.