Der Zentralrat der Juden ehrt ein Ehepaar aus Mecklenburg

Dein Nachbar, der Neonazi

Der Zentralrat der Juden vergibt heute den Paul-Spiegel-Preis an Birgit und Horst Lohmeyer aus Jamel. Sie engagieren sich in einem Ort, der von Neonazis geprägt ist: das mecklenburgische Jamel. Und stoßen nicht nur auf Unterstützung.

 (DR)

"Die schlimmste Nacht war, als im Dorf Hochzeit war und 400 Neonazis aus ganz Deutschland zum Feiern kamen", sagt Birgit Lohmeyer. In jener Nacht machten die Lohmeyers kein Auge zu - aus Angst, dass einer der Hochzeitsgäste als Mutprobe ihr Haus anzündet. Während Rechtsextremismus an anderen Orten eher eine diffuse Gefahr ist, die sich höchstens in Wahlergebnissen manifestiert, ist die Bedrohung für das Ehepaar Lohmeyer im mecklenburgischen Jamel konkret und allgegenwärtig.



Weil Horst und Birgit Lohmeyer seit sieben Jahren die Nachbarschaft mit einem Dorf voller Neonazis aushalten und ihren liebevoll restaurierten Forsthof für Kulturveranstaltungen öffnen, werden die beiden nun an diesem Donnerstag in Schwerin mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage geehrt.



Der mit 5.000 Euro dotierte Preis wird vom Zentralrat der Juden in Deutschland verliehen und dieses Jahr zum zweiten Mal vergeben. 2009 wurde der sächsische Landespolizeipräsident Bernd Merbitz für seinen Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemitismus ausgezeichnet.



"Mehr als die Hälfte der Dorfbewohner Neonazis"

Ohne zu wissen, worauf sie sich einlassen, zogen die 52-jährige Schriftstellerin und der 54-jährige Künstler vor einigen Jahren in das mecklenburgische Jamel. Das Dörfchen liegt zehn Kilometer von der Ostsee entfernt zwischen Wismar und Grevesmühlen. Damals lebte nur ein Rechtsextremist in dem 30-Seelendorf. Mittlerweile, sagt Birgit Lohmeyer, seien mehr als die Hälfte der Dorfbewohner Neonazis. Um dem rechten Treiben etwas entgegenzusetzen, ist das Künstlerehepaar in die Offensive gegangen.



Seit 2007 veranstalten sie einmal im Jahr das Rockfestival "Jamel rockt den Förster", das mittlerweile unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) steht. Wie gefährlich ihr Engagement ist, zeigte sich zuletzt im vergangenen Jahr, als eine Gruppe Rechtsextremer einen ihrer Festivalgäste krankenhausreif schlug.



"Das sind Momente, in denen wir uns sehr sehr unwohl fühlen", sagt Birgit Lohmeyer. Dennoch hätten sie noch nie daran gedacht, den Ort zu verlassen. "Hier ist es wunderschön", sagt sie und meint die Einsamkeit, die Weite, den Forsthof, die Nähe zur Ostsee. Jamel ist für die beiden zur Heimat geworden.



Dabei ist gerade die Einsamkeit einer der Gründe, warum auch die Neonazis Jamel als ihre Heimat auserkoren haben. Seit Jahren fordern sie Gleichgesinnte auf, abgelegene Orte zu besiedeln, sich in den aussterbenden Dörfern auf der Mecklenburgischen Seenplatte, im Landkreis Uecker-Randow oder Ostvorpommern niederzulassen. Fern von funktionierenden sozialen Strukturen gelingt es ihnen zuweilen, eine Parallelgesellschaft zu etablieren. "Jamel ist nur die Spitze des Eisbergs", glaubt Birgit Lohmeyer.



In den vergangenen Jahren ist einiges über das Ehepaar in seiner Trutzburg, dem Forsthof, geschrieben worden. Erst vor wenigen Tagen drehte ein Filmteam eine Reportage über die Lohmeyers. Das Künstlerpaar ist zum Sinnbild dafür geworden, wie in Dörfern dem nachbarschaftlichen Rechtsextremismus etwas entgegengesetzt werden kann.



Klima verschlechtert

Das Klima in Jamel hat sich derweil nicht verbessert. Im Gegenteil: Seitdem das Ehepaar öffentlich Stellung bezieht, werden sie auch von den Dorfbewohnern gemieden, die sich nicht zu den Neonazis zählen. "Vorher hatten wir ein ganz normales Nachbarschaftsverhältnis, nun werden wir nicht mehr gegrüßt", sagt Birgit Lohmeyer. Vielleicht aus Angst. Die Schriftstellerin kennt andere Dörfer in der Umgebung, in denen "der ganze Ort terrorisiert wird, ohne dass einer aufmuckt". Da zeige die rechte Dominanz bereits seine Wirkung.



Lohmeyer sagt, sie hätte sich "sehr geehrt" gefühlt, dass sie und ihr Mann nun den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage des Zentralrates der Juden bekommen sollen. Sie hofft, dass ihr Beispiel Mut macht. "Es müssen nicht alle machen, was wir machen", sagt sie, "aber wir hoffen, dass an vielen Orten Initiativen entstehen, die sich für Toleranz und Demokratie einsetzen."



Zumindest kurzzeitig hat Jamel jedenfalls ein Problem weniger. Der wohl bekannteste Rechtsextremist des Dorfes, der Abbruchunternehmer und NPD-Kreistagsabgeordnete Sven Krüger sitzt seit Januar wegen Verdachts auf Hehlerei und Waffenbesitz in Untersuchungshaft. In der vergangenen Woche wurde gegen ihn Anklage erhoben.