Der US-amerikanische Jazz-Bassist Charlie Haden wird 75 Jahre

Revolutionär mit Kontrabass

Wie nur wenige seines Fachs hat der Kontrabassist Charlie Haden den Jazz geprägt - und neue Wege beschritten. In den 60ern zählte er zu den Punks der Jazz-Szene. Für sein politisches Engagement kam er sogar für einen Tag ins Gefängnis. Heute wird der Bassist, Komponist, Lehrer und politische Aktivist 75 Jahre alt.

Autor/in:
Holger Spierig
 (DR)

Er hat mit Jazz-Größen wie John Coltrane und Ornette Coleman gespielt, mit Pop- und Rockmusikern wie Sting, dem Ex-Beatle Ringo Starr oder Yoko Ono. Der US-amerikanische Jazz-Bassist Charlie Haden versteht das Spiel des Bassmanns nicht nur als Begleitung, sondern als eigene Stimme.



Das "Time Magazine" nannte Haden einen der "rastlosesten, talentiertesten und unerschrockensten Spieler im ganzen Jazz". Der im Jahr 2000 gestorbene britische Rocksänger Ian Dury bekannte einmal, dass das eingängige Riff seines Hits "Sex and Drugs and Rock "n"

Roll" von einem Solo Hadens inspiriert sei. Für sein Lebenswerk erhielt der Bassist Anfang des Jahres in New York den "NEA Jazz Masters Award" - die höchste offizielle Ehrung für Jazzmusiker in den USA.



Hadens Aufnahmen mit dem Ornette-Coleman-Quartett wie "The Shape of Jazz to Come" von 1959 gelten noch heute als bahnbrechende Avantgarde-Alben. Gemeinsam mit dem Altsaxophonisten Coleman habe Haden quasi im Alleingang den Free Jazz erfunden, schrieb das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".



Rebellische, fiebrige, dissonante Tonfolgen

In der konservativen, antikommunistischen Nachkriegsära der 50er und 60er Jahre gehörte Haden zu den Punks der Jazz-Szene: Gegen den geordneten harmonischen Big Band- und Orchester-Sound feuerten diese rebellische, fiebrige, dissonante Tonfolgen.



Musik und Politik gehören für Haden ohnedies zusammen. Auf der Höhe des gesellschaftlichen und politischen Umbruchs in den USA rief er 1969 das bis heute bestehende "Liberation Music Orchestra" ins Leben, dessen Repertoire zum großen Teil aus "Befreiungsliedern" verschiedener Länder und Epochen besteht.



Bei einem Konzert in Portugal im Jahr 1971 widmete Haden die Komposition "Song for Che" ausdrücklich den Gegnern des damaligen diktatorischen Regimes. Daraufhin wurde er verhaftet, von der Geheimpolizei verhört und für einen Tag ins Gefängnis gesteckt.



Mittlerweile gibt es kaum ein Genre, in dem Haden nicht ein Gastspiel gegeben hätte. In den vergangenen Jahren spielte er mit profilierten Countrymusikern "Rambling Boy" ein. Gemeinsam mit dem 2010 gestorbenen Pianisten Hank Jones widmete er sich der Gospelmusik ("Come Sunday"). Und auf "Sophisticated Ladys" brillierte er gemeinsam mit Pop- und Jazz-Sängerinnen wie Melody Gardot, Norah Jones und Diana Krall.



Der 1937 in Shenandoah/Iowa geborene Haden wuchs in einer äußerst musikalischen Familie auf. Im Alter von 22 Monaten hatte er bereits seinen ersten quäkenden Auftritt in der Country-Radioshow seiner Eltern. Als Kind sang er und spielte mehrere Instrumente, bis er sich im Alter von 19 Jahren auf Kontrabass festlegte.



Um den Bass richtig spielen zu lernen, siedelte er 1956 nach Los Angeles über, wo der Junge vom Land einen kometenhaften Aufstieg erlebte. Ähnlich wie in New York pulsierte dort das Leben in unzähligen Jazzclubs. "Mitternächtliche Sessions waren an der Tagesordnung und man konnte spielen, bis einem die Finger wehtaten", erinnert sich Haden. "Das waren definitiv aufregende Zeiten."



Kinder musizieren mit

Der Stadt Los Angeles widmete er mit dem "Quartett West", das er gemeinsam mit seiner zweiten Frau Ruth Cameron im Jahr 1986 ins Leben rief, zahlreiche Aufnahmen. Ein Meisterwerk ist dabei "Always Say Goodbye". Damit ließ er das Los Angeles des von ihm verehrten Krimi-Autors Raymond Chandler (1888-1959) auferstehen. In die atmosphärische Musik montierte er Tonspuren aus Hollywood-Filmen der 40er und 50er Jahre sowie Originalaufnahmen von Chet Baker, Django Reinhardt, Duke Ellington und Jo Stafford.



Haden hat bis heute den Ruf eines sehr disziplinierten, experimentierfreudigen Musikers. Sein Privat- und Familienleben hält er bedeckt, spannt aber für einige Produktionen wie "Rambling Boy" seine inzwischen erwachsenen Kinder als Mitmusiker ein.



Seine Musik ist innerhalb eines halben Jahrhunderts sanfter, melancholischer und romantischer geworden. Musik lehre einem eine Menge über das Leben, sagte er Anfang des Jahres in seiner Dankesrede für den "NEA Jazz Masters Award". Mitten in einer Improvisation gebe es kein Morgen und kein Gestern. "Es gibt nur den Moment, in dem du gerade bist."