In der Türkei liegen viele biblische und christliche Wurzeln

Wo die Christen Christen wurden

Hier strandete die Arche Noah, und hier rastete der Erzvater Abraham. In Tarsus an der Südküste wurde der Apostel Paulus geboren. Und in Antiochien - dem heutigen Antakya - wurden die Anhänger Jesu zum ersten Mal Christen genannt. Auf dem Gebiet der heutigen Türkei gründeten die Apostel blühende Gemeinden.
Auch wenn die Türkei heute zu 97 Prozent muslimisch ist, hat sie eine enorme christliche Tradition.

 (DR)

Zwischen Bosporus, Taurus-Gebirge und Van-See finden sich zahlreiche Wurzeln der Bibel und des Christentums. Das erklärte auch, warum der damalige türkische Staatspräsident Süleyman Demirel Papst Johannes Paul II. Anfang 1998 in sein Land einlud, als dessen Idee von einer Heilig-Jahr-Pilgerreise auf den Spuren der Bibel und des Christentums öffentlich wurde.

In Ephesus, wo das Artemis-Heiligtum als eines der Sieben Weltwunder von der antiken Bedeutung zeugt, verbrachte der Apostel Johannes seine letzten Lebensjahre und verfasste das vierte Evangelium. Auch die Gottesmutter Maria soll nach einer Tradition ganz in der Nähe gelebt und gestorben sein.
Hunderttausende Pilger besuchen jährlich das "Meryem Ana Evi", das als ihr Wohnhaus verehrt wird. Die frühchristliche Bedeutung der Region macht die Tatsache deutlich, dass in Kleinasien alle acht großen Konzilien des ersten Jahrtausends stattfanden: In Nizäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon wurde der christliche Glauben definiert.

Konstantinopel (heute Istanbul) schließlich war ein Jahrtausend lang die Hauptstadt des byzantinischen Reiches unter christlichen Kaisern. Es war nach Rom das zweite Patriarchat der Christenheit, welches allerdings im ersten Jahrtausend immer wieder in den Strudel byzantinischer Kirchenpolitik hineingeriet. Schließlich entfremdeten sich der christliche Osten und Westen zusehends. Das Schisma vom Jahr 1054 mit den gegenseitigen Bannbullen des päpstlichen Delegaten und des Patriarchen war nur das symbolhafte Ereignis in einem langen Prozess allmählicher Trennung.

Nach der islamischen Eroberungswelle und dem Schisma von 1054 war es vor allem der 4. Kreuzzug 1204 mit der Plünderung Konstantinopels durch die westlichen Mächte, von denen sich Byzanz letztlich nicht wieder erholte. Die osmanische Eroberung der alten Reichshauptstadt 1453 besiegelte den kontinuierlichen Verfall. Den schwersten Aderlass erlebten die christlichen Gemeinden aber erst im vergangenen Jahrhundert: Mit Vertreibung und Massaker an den Armeniern und mit dem Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei nach dem Ersten Weltkrieg.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es auf dem Boden der heutigen Türkei rund zwei Millionen Christen, heute dürften es zwischen 100.000 und 150.000 sein.

Die verschiedenen Zypern-Krisen, zuletzt 1974, beschleunigten den Exodus der Christen aus der Ägäis weiter. Schließlich zog der Kurdenkonflikt im Südosten der Türkei ab den 70er Jahren eine Massenabwanderung der syrisch-orthodoxen Christen aus einem ihrer Stammlande aus dem "Tur Abdin", dem "Berg der Gottesknechte", nach sich.

Die Armenier bilden heute mit rund 70.000 Gläubigen in der Türkei die größte christliche Bevölkerungsgruppe. Es folgen die Katholiken, die rund 35.000 Gläubige in vier Riten zählen: die römischen Lateiner sowie die katholischen Armenier, Syrer und Chaldäer. Die verschiedenen protestantischen Kirchen haben rund 20.000 Gläubige, bei den Evangelikalen aufgrund aktiver - und auch umstrittener - Missionsarbeit mit steigender Tendenz. Es folgen die Syrer, deren Zahlen zwischen 10.000 und 20.000 schwanken.

Die alte griechisch-orthodoxe Kirche zählt dagegen in ihrem ehemaligen Stammland noch nicht einmal mehr 5.000 Gläubige.
Allerdings ist Patriarch Bartholomaios auch für die orthodoxen Christen in Westeuropa, in Amerika und Australien zuständig. Und als Oberhaupt des alten Patriarchatssitzes von Konstantinopel hat er einen Ehrenvorrang innerhalb der 300 Millionen orthodoxen Christen weltweit. Ihn zu besuchen, ist zentrales Anliegen der fünften Auslandsreise von Benedikt XVI.
(KNA-Redakteur Johannes Schidelko)