Der Tübinger Theologe Prof. Karl-Josef Kuschel über das Bischofswort zum Terrorismus

Muslime vom Pauschalverdacht entlasten

Das am Montag vorgestellte Bischofswort "Terrorismus als ethische Herausforderung" hat mit seiner Aufforderung zur Achtung der Menschenrechte auch von Terroristen Wellen geschlagen. Für domradio.de nimmt der Tübinger Theologen Prof. Karl-Josef Kuschel eine Einordnung vor.

 (DR)

domradio.de: Vom 11. September und seinen Folgen wird dieser Tage viel gesprochen. Auch die Bischöfe werfen ihren Hut in den Ring. Herr Kuschel, was ist Ihrer Meinung nach die entscheidendste und vielleicht wichtigste Aussage?

Karl-Josef Kuschel: Nun, ich habe mich beim Studium des Dokumentes gefragt, wer der eigentliche Adressat ist. Das sind ja nicht die Terroristen, man hätte ja auch eine Ursachenanalyse, ein sehr differenziertes Papier über die Situation des weltweiten Terrorismus erwarten können. Das ist dieses Papier nicht, es ist eine auf 67 Seiten differenziert ausgearbeitete Stellungnahme zum Thema: "Wie ist die Politik mit dem Thema Bekämpfung des Terrorismus umgegangen?" Die Adressaten sind also eigentlich die Politiker, sind die Staaten, und da machen die Bischöfe meiner Meinung nach mit Recht auf einige Gefahren aufmerksam, nämlich dass man bei aller Abscheu vor den Verbrechen des Terrorismus doch der Gefahr erlegen ist und zum Teil noch erliegt, das Recht zu beugen, das Recht zum Instrument der Politik zu machen - denken Sie an die Rechtfertigung des Irakkrieges, die ja auf einer Täuschung und Manipulation der Öffentlichkeit beruhte; denken Sie an so abscheuliche Ereignisse wie die im Gefängnis von Abu-Ghuraib oder im Gefangenlager von Guantánamo, wo wir nicht nur Rechtsmanipulationen, sondern Rechtsbeugung, ja Rechtsverleugnung hatten. Das ist wohl die Front die hier aufgemacht wird: Die Gefahr, dass vor lauter Bekämpfung des Terrorismus, die natürlich erfolgen muss, Menschenrechte und Menschenwürde auf der Strecke bleiben.



domradio.de: Also Sie sagen, Adressat sind eindeutig die Politiker, sind die jeweiligen Staaten. Eine Aussage ist ja: Krieg als Antiterrormittel ist nicht legitim. Lässt sich daraus eine Position zum Rückzug der internationalen Truppen aus Afghanistan ableiten?

Kuschel: Im Prinzip ja. Die Truppen haben schon von vorneherein als militärische Institution in Afghanistan nichts zu suchen, das folgt ja aus dieser Erklärung. Nun sind sie da und jetzt ist es ein Gebot der politischen Klugheit, dass man sie Schritt für Schritt abbaut und nicht Hals über Kopf aussteigt. Man darf natürlich vor lauter ethischem Idealismus die Realpolitik nicht vergessen. Aber im Prinzip muss man sagen, dass die militärische Intervention auch in Afghanistan ethisch nicht gerechtfertigt.



domradio.de: Kritiker loben, die Bischöfe würden eindeutig den Islam verteidigen. Wird die Kirche nicht auch in diese Ecke gedrängt - indem immer wieder seit dem 11. September von Islam und Christentum als Konkurrenten die Rede ist?

Kuschel: Sie wird gedrängt, weil die öffentliche Meinung nach wie vor sehr stark anti-islamisch eingestellt ist. Sie tut ja nur das eine und das entspricht ja ihren Prinzipien der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe: Sie nimmt die Muslime vor dem Pauschalverdacht, den Terrorismus zu wollen und die Gewalt zu legitimieren, in Schutz. Das ist das eine. Also die Kirche trägt dazu bei, Gerechtigkeit auch den Muslimen gegenüber widerfahren zu lassen. Und das andere ist, auch ein ganz starker Punkt am Ende: Die Strategie der Terroristen und von Osama Bin Laden und seinen Helfershelfern war ja, Christentum und Islam gegeneinander auszuspielen, gegeneinander zu hetzen, Feindschaft zu schüren, ja sogar die kriegerische Auseinandersetzung zu stimulieren. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Und jeder, der sich heute für Dialog und friedliche Zusammenarbeit mit Muslimen einsetzt, dient der Terrorismusbekämpfung, dient der Gewaltprophylaxe. Das ist sehr, sehr stark. Die Rechnung der Terroristen darf im Nachhinein nicht dadurch aufgehen, dass man die Feindbilder verhärtet, sondern kann nur dadurch unterlaufen werden, dass man Feindbilder abbaut und zur Verständigung beiträgt.



domradio.de: Ist diese Papier also ganz klar nutzbar für die Basisarbeit, wenn man gegen die Angst vor dem Islam und das zugehörige Feindbild kämpfen will?

Kuschel: Das meine ich schon aus diesem genannten Grund. Einer der starken Punkte gegen Ende der Erklärung, die Erzbischof Schick gestern vorgetragen hat, war ja der Dialog der Kulturen und Religionen muss weiter gehen. Das ist das eine, und zwar im Interesse der Gewaltprophylaxe. Und das andere ist: Die Ursachen des Terrorismus müssen scharf analysiert und mit Strategien überwunden werden. Die Terroristen sind auch nicht vom Himmel gefallen, sondern sind aus bestimmten Lebensbedingungen heraus entstanden - Stichwort Armut, Chancenlosigkeit, Stichwort Soziale Verwerfungen etc. In vielen Ländern ist das noch ein Thema, in vielen Ländern blüht die Gewalt und auch die Gewaltbereitschaft. Und da muss man ansetzen. Dazu ermutigt zu haben und das auch von Christen und Katholiken gefordert zu haben: Achten Sie auf die Ursachen der Gewalt! Nur dann können wir den Terrorismus überwinden - das ist ein starker Punkt.



domradio.de: Auch das moralische Dilemma des Rechtsstaats wird von den Bischöfen thematisiert. Also die Frage: Was macht man mit einem entführten Flugzeug? Abschießen oder nicht? Aber da enthalten sich die Bischöfe einer Antwort. Wie konkret muss Kirche bei solchen Fragen sein?

Kuschel: Sehr schwer zu beantworten. Das muss ich ehrlich zugestehen. Ich habe auch nicht die Stirn, jetzt da der Kirche Rezepte vorzuschlagen. Das ist ja eine klassische moralische Dilemmasituation. So oder so soll man Leben gegeneinander abwägen. Ich wage da auch keine Stellungnahme, vor allem will ich mich nicht nassforsch hinstellen und sagen will: Nur so ist es richtig. Das ist eine wirklich verfluchte Dilemmasituation, und die Bischöfe sind hier in solchen konkreten Einzelmaßnahmen mit Recht zurückhaltend, aber das muss man dann auch einmal ethisch durchdenken, da muss auch Sachverstand investiert werden. Wenn man schon auf das Gebiet der Terrorismusbekämpfung konkret eingeht, und die Bischöfe nennen ja einige Punkte, dann muss man auch solche Szenarien ethisch durchdenken, um vorbereitet zu sein, denn es kann ja jeder Zeit wieder passieren, dass wir vor solchen Entscheidungen stehen.