Der siebenbürgische Autor Eginald Schlattner wird 90 Jahre

Knorrig geschwiegen – knorrig geschrieben

Im Alter befreit sich Pfarrer Eginald Schlattner von dem, was ihn quälte. Gießt es in sperrige, erdige Literatur. Und blickt zurück auf ein bewegtes Leben in Siebenbürgen zwischen Liebe, Verratensein und Vergebung.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Der Schriftsteller Eginald Schlattner. / © Mihai Andrei (CC BY-SA 3.0 DE)
Der Schriftsteller Eginald Schlattner. / © Mihai Andrei ( CC BY-SA 3.0 DE )

Der Mann sucht seinen Frieden. Sucht ihn schon lange. Seine Mittel: Schweigen. Das Reden ertragen. Sühne. Seelsorge. Am Ende: reden, schreiben, alles sagen. Doch wie steht es nun um die Versöhnung? Das Leben von Eginald Schlattner ist das eines Mannes, der in jungen Jahren in den Schraubstock der Diktatur geriet. Als er wieder herauskam, war er geächtet, eigentlich bis heute. Von denen, die ihn beschuldigten, sind die wichtigsten gestorben.

"Erbaut 1225 (älter als Berlin)" - so trotzig hat es der Pfarrer und Schriftsteller auf Deutsch an die Tür seiner evangelischen Kirche von Rothberg (rumänisch Rosia) bei Hermannstadt (Sibiu) genagelt. Schlattner ist geblieben, damals, 1990, als die deutsche Minderheit nach Jahrhunderten in Scharen das Land verließ. Bis heute lebt er als pensionierter Pfarrer in dem kleinen Dorf, wo von den Sachsen heute keine "fünf Greise mehr zu begraben" sind.

Vertrieben nach dem Krieg

Eginald Schlattner ist ein sächsischer Dickkopf; aus dem Nest gefallen wie so viele Deutschstämmige in Nachkriegs-Rumänien. Eindrücklich hat er später beschrieben, wie die Kommunisten kamen und ihre bürgerliche Existenz buchstäblich aus dem Fenster warfen: ihr Abendessen samt Tischdecke vorneweg, die ungarische Noblesse der Großmutter - und das Stofftier der kleinen Schwester. Die Siebenbürger Sachsen, über Jahrhunderte als einst deutsche Siedler am Karpatenrand, standen zu Kriegsende auf der falschen Seite der Geschichte. Rumäniens Frontwechsel von Nazi-Deutschland zu den Alliierten im August 1944 trieb sie in die politische Katastrophe.

Siebenbürger Sachsen

Die deutsche Minderheit der Siebenbürger Sachsen war über Jahrhunderte zahlenmäßig stark im heutigen Rumänien vertreten. Sie wurde aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Auswanderung extrem geschwächt. Ihre Arbeitsethik ist seit dem Sturz des Kommunismus unter den Rumänen sehr geschätzt. Seit 2014 ist der vormalige Bürgermeister von Sibiu (Hermannstadt), Klaus Iohannis (62), Staatspräsident des Landes. Er erhält am Samstag den Aachener Karlspreis für seine Verdienste um die europäische Integration.

Rumänischer Präsident Klaus Iohannis / © Maurizio Gambarini (dpa)
Rumänischer Präsident Klaus Iohannis / © Maurizio Gambarini ( dpa )

Schlattner, Jahrgang 1933, sucht nach der Enteignung und geistigen Entwurzelung einen gangbaren Weg für seine Landsmannschaft: Stehen wir nun abseits als Geächtete, oder bringen wir uns ein für die Sache des Sozialismus, die erst mal gar nicht die unsere zu sein scheint? Zögernd und innerlich widerstrebend begibt er sich bei seinen ersten literarischen Versuchen auf den Weg des sozialistischen Realismus. Und inmitten dieses persönlichen Werdegangs gerät er in die politischen Schauprozesse der späten 50er Jahre.

Krimineller in den Augen Rumäniens

Als erster siebenbürgisch-deutscher Schriftsteller wird Schlattner 1957 wegen angeblichem Nichtanzeigens von Staatsverrat für zwei Jahre eingesperrt und mit den Geheimdienstmethoden der Securitate zu belastenden Aussagen gebracht. Im sogenannten Kronstädter Schriftstellerprozess macht man ihn zum Kronzeugen. Fünf siebenbürgisch-deutsche Literaten, allesamt arrivierter als er, erhielten - durch seine Aussagen? - drakonische Haftstrafen wegen vermeintlicher Unterwanderung des Sozialismus. Womöglich auch sein eigener Bruder Kurtfelix?

Sie alle wurden nach drei bis fünf Jahren amnestiert und offiziell rehabilitiert; auch der 2022 mit fast 97 Jahren gestorbene Hans Bergel. Nicht so Schlattner: Seine "Nichtanzeige von Hochverrat" blieb aktenkundig. Für den rumänischen Staat war er fortan ein Krimineller; für seine sächsische Community ein Verräter; im literarischen Betrieb beides: ein Geächteter zwischen den Fronten. Sein unterbrochenes Diplom der Wasserwirtschaft durfte er erst 1969 ablegen. Und vor seinem Theologiestudium standen bittere Jahre als Arbeiter in einer Ziegelfabrik.

Stigma des Verräters

Längst bevor Schlattner als Gefängnisseelsorger und Pfarrer von Rothberg seit 1978 ganz bewusst Buße für seine Rolle in den kommunistischen Schauprozessen tat, hatte in der deutschen Community eine Art Fuchsjagd eingesetzt. Einige der rehabilitierten Autoren machten ihn allein für das Justizdesaster von damals verantwortlich.

Das Stigma des Verräters haftete ihm über die Jahrzehnte an. Und Schlattner schwieg knorrig, statt sich zu verteidigen. Nur wer ihm die Hand reichte, dem schilderte er seine Sicht der Dinge. Dann, Ende Dezember 1989, der Sturz des Ceausescu-Regimes. Ein plötzlicher und Monate andauernder Exodus der Siebenbürger Sachsen setzte ein. Der (freilich langsam wirkende) Todesstoß für eine 850 Jahre dauernde deutsche Siedlungsgeschichte entsetzte Schlattner. Er blieb - und begann zu schreiben, endlich.

Überraschungserfolg der Roman-Trilogie

Das Trauma des Exodus brachte den Büßer-Pfarrer zu einer Roman-Trilogie über Liebe, Heimat und Verrat; einer stark autobiografischen Chronik von 1944 bis in die frühen 60er Jahre. Der erste Teil "Der geköpfte Hahn" über eine Kindheit in Fogarasch zwischen NS-Zeit und deutscher Niederlage wurde 1998 ein überregionaler Überraschungserfolg.

Eine verhängnisvolle Wirkungsgeschichte entfaltete der zweite Teil, "Rote Handschuhe" (2000), in dem er seine Haftjahre und sein Erleben des Kronstädter Schriftstellerprozesses von 1959 niederschrieb. Alte Wunden rissen auf; schmutzige Wäsche wurde öffentlich gewaschen. Der Pfarrer von Rothberg war endgültig Unperson der deutschen Community. 2007 verließ ihn seine langjährige Ehefrau Susanna: Sie starb 2017 und wurde in Hermannstadt beigesetzt.

Weiter schreiben, auch im Alter

2005 erschien Schlattners dritter Roman, "Das Klavier im Nebel", über seine Jugendliebe mit einer Rumänin und die schweren Jahre nach der Haftentlassung, als Arbeiter in einer kommunistischen Ziegelei. 2018 dann doch noch mal ein Roman, wider alle Ankündigungen: "Wasserzeichen". Eine Lebensbeichte; unkonventionell, sprunghaft, poetisch verschlungen, selbstkritisch und jedenfalls schwer zu deuten. Und dann noch einer, 2021: "Drachenköpfe", entstanden in der Zwangspause nach einem doppelten Beinbruch; 2022 noch einer, "Schattenspiele toter Mädchen"; und 2023 "Brunnentore".

Im Juni 2021 erhielt Schlattner das Bundesverdienstkreuz am Bande. In seiner Pfarrei in Rothberg, älter als Berlin, arbeitet Eginald Schlattner weiter, schreibt weiter. "Vergeben", sagt er, "ist nicht Vergessen, sondern Heilung".

Quelle:
KNA