Der Prager Frühling und sein bitteres Ende vor 40 Jahren - Ein Zeitzeuge erinnert sich

"Wir waren naiv"

Vor vierzig Jahre, in der Nacht zum 21. August 1968 marschierten Truppen der Sowjetunion, Polens, Ungarns und Bulgariens in die Tschechoslowakei ein und besetzten innerhalb von wenigen Stunden alle strategisch wichtigen Positionen des Landes. Bei den Kämpfen fielen 98 Tschechen und Slowaken. Der Prager Frühling wurde gewaltsam beendet, alle Hoffnungen auf Reformen mit Gewalt zerstört. Der heutige Prager Weihbischof Maly und der ehemalige Botschafter Frantisek Cerny erinnern sich an die tragischen Tage im August 1968.

Autor/in:
Hans-Jörg Schmidt
 (DR)

«Niemand, der es erlebt hat, wird die Verzweiflung, die Angst und die Ohnmacht des 21. August 1968 vergessen», erinnert sich Vaclav Maly. In der Nacht vor 40 Jahren überschritten Truppen des Warschauer Pakts die Grenzen der Tschechoslowakei, um das Reformprojekt des «Prager Frühlings» mit Panzerketten zu zermalmen. Mehr als 100 Menschen mussten ihren Widerstand mit dem Leben bezahlen.

Der heutige Prager Weihbischof Maly stand damals vor Beendigung der Schule und der Aufnahme seines Studiums. Gemeinsam mit Altersgenossen hatte er über Monate leidenschaftlich debattiert, die unzensierten Zeitungen und Zeitschriften verschlungen und ein bis dahin unbekannt reiches kulturelles Leben in der Tschechoslowakei genossen.

«Das war ein Aufatmen», beschreibt Maly die damalige Entwicklung in seiner Heimat. «Auch ich, der ich nie an den Sozialismus geglaubt hatte, auch nicht an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, wie ihn die damalige kommunistische Prager Parteiführung unter Alexander Dubcek postulierte, fühlte mich wie in einer anderen Welt.» Wie viele Nichtkommunisten habe er diese Zeit als eine «Übergangsperiode zu wirklicher Demokratie» angesehen.

Der Einmarsch der «Brüder» aus dem Warschauer Pakt machte dem ein jähes Ende. Nicht völlig überraschend, wie Maly sich erinnert:
«Spätestens im März, bei einer Tagung der Partei- und Staatschefs der Warschauer-Pakt-Staaten in Dresden, wurde klar, dass sich der Kreml und die anderen nicht so einfach mit dem Wandel in der Tschechoslowakei abfinden würden.» Jenes Treffen, eigentlich als Meinungsaustausch zu Wirtschaftsfragen deklariert, entpuppte sich bald als massive Warnung an die Prager Reformer.

Schon dort wurde das Recht aus Einmischung der sozialistischen Staaten in der Tschechoslowakei aus sicherheitspolitischen Gründen und zur Abwehr der «Konterrevolution» formuliert. «Danach fragten bei uns viele: Wie lange noch?», so Maly im KNA-Gespräch. «Am Morgen des 21. August sah ich dann, wie von einem Hügel gegenüber meinem Wohngebiet die Panzerkanonen auf Prag zielten.» Bereits Wochen zuvor hatte es Manöver gegeben.

Tschechen und Slowaken wehrten sich, so gut sie es vermochten. Doch menschliche Leiber konnten auf Dauer kein Gleichgewicht zu Panzern sein. Die Parteiführung um Dubcek wurde nach Moskau verschleppt.
Dort hatten sie Abbitte zu leisten und ein erniedrigendes Protokoll zu unterzeichnen, das unter anderem den «zeitweiligen» Aufenthalt sowjetischer Truppen auf tschechoslowakischem Territorium festschrieb. «Zeitweilig» erwies sich als ein sehr dehnbarer Begriff. Erst nach der sogenannten Samtenen Revolution 1989 konnte die Tschechoslowakei den Abzug der verhassten Besatzer aushandeln.

«Es wäre ungerecht, Dubcek nur an seiner Unterschrift unter das Moskauer Protokoll zu messen», sagt Maly heute. Immerhin habe sein «Prager Frühling» auch bei Intellektuellen im Westen Wirkung hinterlassen. 1989 freilich habe man nicht mehr an den Prager Frühling anknüpfen können, sagt Maly, der in jener «Samtrevolution» zu den herausragenden Gestalten gehörte.

«Dubcek hatte seine Verdienste, aber er war zu diesem Zeitpunkt schon ein Mann der Vergangenheit.» Das Land habe nach der Wende einen anderen Präsidenten gebraucht - «einen Mann wie Vaclav Havel, der nicht mehr mit dem Kommunismus verbunden war». Dennoch bekümmert den Bischof, wie gering Dubcek heute in der Tschechischen Republik geschätzt werde. «Es wäre gut, Straßen oder Plätze nach ihm zu benennen, um ihn nicht ganz dem Vergessen anheimfallen zu lassen.»