Der Koran-Plan eines Provinzlers löst weltweite Automatismen aus - Ein Kommentar

Verbrennungen im globalen Dorf

Hatte es noch eines Beweises bedurft, dass die Welt ein Dorf geworden ist? Dann hat ihn Pastor Terry Jones erbracht. Aus dem hintersten Winkel Floridas kündigte er via Internet an, er werde mit seinen rund 50 verdrehten Anhängern am 11. September öffentlich den Koran verbrennen. Die Begründung: Es handele sich um ein «Buch des Hasses». Reflex- und blitzartig reagierten die Akteure überall auf dem Globus - und wurden so seine Werbeträger. Ein Kommentar von Alexander Brüggemann.

 (DR)

In Afghanistan und Indonesien brannten die vorbereiteten US-Fahnen - denn so eine Gelegenheit zur Bestätigung islamistischer Propaganda gab es zuletzt in Abu Ghraib. Die Spitzen der US-Politik fürchteten öffentlich um die nationale Sicherheit. Und die Weltpresse begann fieberhaft zu tickern. Ein fundamentalistischer Wirrkopf genügt, um rund um den Globus politische Automatismen in Gang zu setzen, die einstweilen unaufhaltsam scheinen.



Bücherverbrennungen als weltweiter Werbe-Scoup: Soweit war es bislang noch nicht gewesen. Kalkulierte politische Botschaften waren sie freilich immer. Die Begründungen für einen "Biblioklasmus" sind so alt wie die Geschichte der Bücher selbst: Sie seien anstößig, ketzerisch, unanständig, aufrührerisch, blasphemisch, gefährlich oder falsch. Die Anlässe sind - naturgemäß - zumeist weltanschaulicher, religiöser oder politischer Art.



Schon in der chinesischen Kaiserzeit wurden philosophische Ansichten physisch vernichtet, die der Idee der Staatseinheit zuwiderliefen - ein Schicksal, das unter dem römischen Kaiser Diokletian (284-305) auch den Schriften der Christen widerfuhr. Dies änderte sich freilich grundlegend, als das Christentum Ende des 4. Jahrhunderts zur Staatsreligion wurde. Und schon der Apostel Paulus war bei seiner Mission offenbar so überzeugend, dass in Ephesus bekehrte Zauberer öffentlich ihre Bücher verbrannten.



In der christlichen Spätantike und durch das ganze Mittelalter hindurch ordneten immer wieder Kaiser, Bischöfe oder Konzilien die Vernichtung als häretisch angesehener Schriften an. Besonders im historischen Gedächtnis verankert ist die Pariser Talmudverbrennung, bei der auf Anordnung der Kirche und mit Hilfe der französischen Krone 1242 jüdische Bücher aus ganz Westeuropa zusammengekarrt und auf einem riesigen Scheiterhaufen verbrannt wurden. Ebenso der "Scheiterhaufen der Eitelkeiten" des Bußpredigers Girolamo Savonarola, der in Florenz 1497 Künstler wie Botticelli dazu brachte, ihre "Obszönitäten" dem Feuer zu übergeben.



Eine Hoch-Zeit brennenden Schrifttums waren nicht nur im übertragenen Sinne die Reformation und die Religionskriege in Europa. Berühmt ist Luthers Ausspruch: "Weil du getilgt hast die Wahrheit Gottes, so tilge dich heute der Herr!" Einen veritablen Büchersturm brachte der aufklärerische Übereifer des Maximilien Robespierre 1793 über das revolutionäre Paris.



Buchstäbliches Fanal der Deutschen Geschichte ist das Wartburgfest von 1817 - wo freilich auch radikale Burschenschafter "reaktionäre" und "undeutsche" Schriften verbrannten. Heinrich Heine, der Vielzitierte dieser Tage, befand: "Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren!" Die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten "wider den undeutschen Geist" vom Mai 1933, die vielleicht bekannteste der Weltgeschichte, war da noch ein Jahrhundert entfernt.



Mit dem Eintritt der USA in die Weltgeschichte einhergeht auch eine besondere amerikanische Kultur der Bücherverbrennung. Stichworte sind etwa die umtriebige "Gesellschaft zur Bekämpfung des Lasters" von 1873, die "Kommunistenhatz" der McCarthy-Ära in den 1950er Jahren oder die Harry-Potter-Verbrennung in Pittsburgh 2001.



In Ostasien brannte im 20. Jahrhundert vor allem als antikommunistisch oder "intellektuell" erkannte Literatur, etwa in der chinesischen "Kulturrevolution" der 60er Jahre oder im Kambodscha der Roten Khmer. In der muslimischen Welt machte vor allem die Jagd auf die "Satanischen Verse" von Salman Rushdie in den späten 80er Jahren Furore.



Papier brennt bei 451 Grad Fahrenheit, 232 Grad Celsius. Schon vor dem Samstag hat Pastor Terry Jones im hintersten Winkel Floridas gezündelt - und die Nachrichtenseiten haben Feuer gefangen.