Der Koran ist für Muslime mehr als nur ein Buch

Afghanistan in Aufruhr

War es eine Provokation? Der fromme afghanische Buchhändler Hadschi Ahmend glaubt nicht, dass US-Soldaten den Koran versehentlich verbrannt haben. Er fordert Strafen - und mahnt zum Frieden.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Noch zwei bis drei Jahre wird es dauern, schätzt Ahmed. Der aufgeweckte afghanische Junge mit dem kessen Leberfleck auf der linken Wange ist erst neun Jahre alt. Doch er hat ein Ziel: Den ganzen Koran auswendig zu lernen. Seit einem Jahr nimmt er deshalb Unterricht. Neben der Schule geht er jeden Tag zu einem Lehrer, um das Rezitieren der heiligen Schrift zu erlernen. Der Koran ist für Muslime mehr als ein Buch. Die Verbrennung einiger Koran-Exemplare durch US-Soldaten in Bagram löste in blutige Proteste aus.



Ahmeds Vater, Hadschi Ahmend, ist Buchhändler. Seit 25 Jahren führt er einen kleinen Laden voll mit religiösen Schriften im Taimani-Viertel in der Hauptstadt Kabul. "Ich will, dass alle meine Kinder in die Schule gehen und auch Hafis werden", sagt der 43-Jährige. Hafis ist die Ehrenbezeichnung für Muslime, die den gesamten Koran auswendig können. Sie wird dem Namen vorangestellt. Wer sich Hafis nennen kann, genießt in Afghanistan höchsten Respekt. Alle religiösen Schriften seien den Menschen von Gott gegeben worden, sagt Hadschi Ahmend.



Mindestens 17 Tote bereits

Die Verbrennung des Koran durch US-Soldaten in Bagram hält der Buchhändler für eine Provokation: Afghanische Arbeiter hatten Anfang der Woche verbannte Reste des Korans auf dem amerikanischen Militär-Stützpunkt in Bagram gefunden. Danach zogen wütende Menschen auf die Straße und forderten den Abzug der ausländischen Truppen.



Die Situation eskalierte. Mindestens 17 Menschen wurden bei den Protesten getötet. Die aufständischen Taliban forderten die Bevölkerung auf, aus Rache Fremde zu verprügeln, gefangen zu nehmen oder zu töten. Prompt erschoss ein afghanischer Soldat zwei amerikanische Soldaten im Osten Afghanistans. Unklar ist, ob die Koran-Exemplare in Bagram irrtümlich oder absichtlich in die Verbrennungsanlage gerieten. Etwa, um den Austausch geheimer Botschaften zwischen afghanischen Gefangenen zu unterbinden.



Der Kabuler Buchhändler hat seine Zweifel: Nach der Koran-Verbrennung in Bagram hätten die Amerikaner nicht versucht, die Spuren zu verwischen. "Sie haben es so angestellt, dass die muslimischen Arbeiter in Bagram es entdecken mussten", sagt er. "Sie wollten uns wütend machen."



Die Koran-Schrift ist im Islam heilig. Zum Schutz vor Regen oder Staub wird es oft in bunte Tücher eingeschlagen. Das Buch zu beschädigen oder gar zu verbrennen, gilt als große Sünde. "Ich würde so etwas auch nie mit einer Bibel machen", sagt Hadschi Ahmend ernst: Die Ausländer in Afghanistan sollten die Sitten des Landes respektieren.



Der Buchhändler ist stolz auf den Fleiß seines kleinen Sohns, der das heilige Buch des Islam wenigstens zehn Stunden am Tag hört. Denn Ahmend verkauft vor allem DVDs und andere Audio-Programme, auf denen die Koran-Texte zu hören sind. Besonders beliebt sind die Rezitate von Kari Barakatullah Salim, einem blinden afghanischen Dichter. Er habe bereits zwölf Mal den internationalen Koran-Vortragswettbewerb gewonnen, sagt Hadschi Ahmend.



"Der Koran sagt, wir sollen in Frieden leben"

Der Buchhändler möchte, dass die Amerikaner, die den Koran in Bagram verbrannt haben, verurteilt werden. Dass Taliban-Kämpfer den Koran nutzen, um geheime Nachrichten an Gefangene weiterzuleiten, will er gleichwohl nicht ausschließen. Aber es sei nicht recht: "Der Koran sagt, wir sollen in Frieden leben."



Auch Maulana Din Khabar, Geistlicher und Gelehrter in einer Moschee in der Nachbarschaft, erklärt, wie wichtig der richtige Umgang mit der Koran-Schrift sei. Wer immer das Buch berühre, müsse sich zuvor den fest vorgeschriebenen, rituellen Waschungen, dem Wusu, unterziehen, egal, ob er Muslim sei oder ein Andersgläubiger. Strengere Religionslehrer sind sogar der Meinung, dass ein "Kafir", ein Ungläubiger, das Buch nicht einmal berühren darf.



Die Proteste sieht der Geistliche mit Sorge: "Wenn Demonstrationen zu Ausschreitungen werden, ist das schlecht für jeden. Der Koran wurde von Amerikanern verbrannt und nun schießen muslimische Polizisten auf muslimische Demonstranten." Damit vergrößere sich der Schaden. Als Religionsführer werde er niemals die Gläubigen in seiner Moschee auffordern, an solchen Demonstrationen teilzunehmen. Jeder habe das Recht, seine Meinung kundzutun, aber in "respektvoller und friedlicher Weise", betont der 49-Jährige.