Der kommisarische Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider im Interview

"Ich bin wirklich betroffen"

Die Amtsgeschäfte des Ratsvorsitzenden übernimmt kommissarisch Käßmanns bisheriger Stellvertreter, der rheinische Präses Nikolaus Schneider. Im domradio.de-Interview drückt er sein Bedauern über den Rücktritt Käßmanns aus und schildert die Entwicklung der letzten Stunden und Tage.

 (DR)

domradio: Präses Schneider, wie betroffen sind Sie vom Rücktritt von Margot Käßmann?
Schneider: Ich bin wirklich betroffen, denn wir haben eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit in dieser beginnenden Amtsperiode von Frau Käßmann und mir als ihrem Stellvertreter entwickelt. Insofern bedaure ich das wirklich sehr. Wir hatten gestern Abend eine Telefonkonferenz des gesamten Rates, wo wir doch sehr ausführlich und realistisch die Situation bedacht haben und auch nicht schön geredet haben. Am Ende stand das Ergebnis, dass wir einmütig gesagt haben: "Wir sprechen dir das Vertrauen aus und du wirst die richtige Entscheidung treffen." Weit überwiegend haben wir gesagt: "Wir wollen und können mit dir auch weiterarbeiten als Ratsvorsitzende. Das hat Margot Käßmann natürlich den Rücken völlig freigehalten. Es war die eigene Dynamik, mit der sie fertig werden musste und die völlig eigene Entscheidungsfindung, dann zu sagen, ich trete von den Ämtern zurück.

domradio: Was hat Margot Käßmann jetzt zu diesem Entschluss bewogen?
Schneider: Das hat sie ja selber gesagt, sie fühlte sich nicht mehr frei genug, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, in der von ihr bekannte Klarheit und Direktheit und Geradlinigkeit Stellung zu nehmen und manchmal auch zu provozieren, auch Leute mit harscher Kritik zu bedenken. Diese Freiheit hat sie nicht mehr für sich gesehen, und das war wohl am Ende der Grund.

domradio: Stimmen sie mit ihr überein, dass sie diese Freiheit nicht mehr gehabt hätte?
Schneider: Im Augenblick wäre ihre Freiheit wirklich eingeschränkt gewesen, das ist so, da soll man sich nichts vormachen. Aber auf Dauer, davon bin ich überzeugt, hätte zweierlei greifen können: Einerseits, dass man sieht, wie ein Mensch mit seinen Fehlern und seinem Fehlverhalten ehrlich umgeht, wie er dann dies auch in tätige Reue umsetzt, das passt ja gut in die Fastenzeit, die ja umkehrt. Und dann, wie er durch die Art und Weise, wie er redet, und durch das, was er redet, doch auch wieder neu Respekt und Vertrauen zurückgewinnt. Das wäre ein längerer Weg gewesen und ein schwerer Weg, keine Frage. Auch ich persönlich habe ihr gestern Abend gesagt, dass ich bereit bin, diesen Weg mit ihr zu gehen.

domradio: Es gibt viele Stimmen, die sagen, jeder Mann hätte so eine Affäre ausgesessen. Hat die Entscheidung Käßmanns auch etwas mit ihrer Rolle als Frau und Bischöfin zu tun?
Schneider: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Frauen und Männer dabei immer noch unterschiedlich betrachtet werden. Hinzu kommt, eine Bischöfin und Ratsvorsitzende hat eine sehr herausgehobene Position. Sie redet mit einem hohen ethischen Anspruch und wird natürlich daran auch gemessen. Wenn man sich das klar macht, dann ist die Öffentlichkeit weit überwiegend ausgesprochen fair mit ihr umgegangen und hat ihr auch angedeutet, dass sie diese Chancen für sie sieht.

domradio: Sie als ihr Stellvertreter müssen jetzt die Amtsgeschäfte kommissarisch weiterführen?
Schneider: Ja, das ist so. Was das im Einzelnen bedeutet, kann ich jetzt auch noch nicht absehen. Am späten Vormittag habe ich das erst richtig realisiert und erfahren. Darüber werden wir nun in nächster Zeit beraten. Wir haben am Wochenende Rat und werden dann die Situation miteinander besprechen. Danach kann ich planen und mir klar werden, wie es im Einzelnen gehen wird.