Der Hintergrund zum Kinofilm "Die Bologna-Entführung"

"Es werden Unwahrheiten behauptet"

"Die Bologna-Entführung" erzählt von einem jüdischen Jungen, der notgetauft wird und in die Obhut des Papstes kommt. Vatikan-Experte Ulrich Nersinger meint, dass die Darstellungen im Film den christlich-jüdischen Dialog beschädigen.

Szene aus dem Film Die Bologna-Entführung / © Pandora Filmverleih/Anna Camerlingo (dpa)
Szene aus dem Film Die Bologna-Entführung / © Pandora Filmverleih/Anna Camerlingo ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Film "Die Bologna-Entführung" rollt das Schicksal eines Jungen auf, der auf Geheiß von Papst Pius IX. aus seiner jüdischen Familie entführt wurde. Der Junge im Film wird von seinem katholischen Dienstmädchen heimlich katholisch getauft. Wie hat sich das in der Realität abgespielt?

Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

Ulrich Nersinger (Historiker und Vatikan-Experte): Der Junge war in einer lebensbedrohlichen Situation. Und das Dienstmädchen, eine offenbar sehr fromme Katholikin, hat ihm eine Nottaufe erteilt. Die Nottaufe ist in der katholischen Kirche durchaus üblich. Ein Katholik ist eigentlich sogar verpflichtet, einem anderen Katholiken, der im sterben liegt oder der eine lebensbedrohliche Krankheit hat, diese Nottaufe zu erteilen.

Die Päpste haben schon seit dem 18. Jahrhundert darauf gedrängt, dass solche Nottaufen natürlich nicht Nichtkatholiken gespendet werden. Aber die Spendung auch an einen Nichtkatholiken bleibt trotzdem gültig, weil die Taufe ein unauslöschliches Sakrament ist. Einmal in der Seele, in der Person dieses Getauften, ist sie nicht mehr zu eliminieren.

Enea Sala als der junge Edgardo Mortara in einer Szene des Films: Die Bologna-Entführung - Geraubt im Namen des Papstes / © Pandora Filmverleih/Anna Camerlingo (dpa)
Enea Sala als der junge Edgardo Mortara in einer Szene des Films: Die Bologna-Entführung - Geraubt im Namen des Papstes / © Pandora Filmverleih/Anna Camerlingo ( dpa )

DOMRADIO.DE: Deshalb nahm sich der Papst das Recht heraus, das notgetaufte Kind aus seiner jüdischen Familie zu nehmen und den Jungen christlich zu erziehen. Der Fall sorgte damals auch schon ohne Instagram oder Facebook für internationales Aufsehen. Warum ist der Papst hart geblieben und hat den Jungen nicht seinen Eltern zurückgegeben?

Nersinger: Der Papst sah sich im Recht und er war auch gedeckt durch die gesetzlichen Bestimmungen, sowohl die kirchenrechtlichen und auch die staatsrechtlichen. Ein deutscher Historiker hat einmal gesagt, formaljuristisch ist der Papst vollkommen im Recht gewesen. Der Papst sah es eben so, dass man jemandem ein Sakrament erteilt hat und dass derjenige damit der katholischen Glaubensgemeinschaft angehörte. Er als Papst war damit in die Pflicht genommen, für eine katholische Erziehung zu sorgen.

Ulrich Nersinger

"Der Papst sah sich im Recht und er war auch gedeckt durch die gesetzlichen Bestimmungen."

DOMRADIO.DE: Der Fall aus der Mitte des 19. Jahrhunderts hat ungewollte Parallelen zu den jüngsten Entführungen der Hamas, die auch jüdische Kinder in ihrer Gewalt haben. Aber dieser Vergleich hinkt natürlich.

Nersinger: Der hinkt nicht nur, der ist völlig falsch in meinen Augen, weil nämlich hier etwas ganz anderes geschehen ist. Es ist natürlich beides zu einem Politikum hochstilisiert worden. Aber das hat beides absolut nichts miteinander zu tun. Da würde ich mich auch wehren, da überhaupt einen Vergleich zu ziehen.

DOMRADIO.DE: Im Kinofilm wird gezeigt, dass der junge Edgardo groß wird, dass er in den Orden eintritt, dass er zu seinem katholischen Glauben steht und gar nicht zur jüdischen Familie zurückkehren will. Der Film erklärt aber nicht, warum er sich so entscheidet. Ist etwas darüber aus der Historie bekannt?

Nersinger: Ja, ich selber hatte die Gelegenheit, in dem Orden, in den er dann auch eingetreten ist, die Akten zu sehen. Und es ist so, dass er sich sehr früh vom katholischen Glauben fasziniert zeigte. Er hat immer gesagt, dass er weiterhin katholisch bleiben muss, er hatte eine sehr enge Bindung an den Papst.

Ulrich Nersinger

"Er hat immer gesagt, dass er weiterhin katholisch bleiben muss, er hatte eine sehr enge Bindung an den Papst."

Der Junge hat immer die Gelegenheit gehabt, mit seinen Eltern und mit seinem Bruder zu sprechen. Es gab keine Kontaktsperre. Er hat auch übrigens nie versucht, seine Familie zur Konversion zu bewegen. Und selbst die Mutter, die sehr energisch gegen diese Wegnahme war, hat später gesagt, dass ihr der Papst nicht unsympathisch erschien, dass sie die Güte des Papstes gegenüber ihrem Sohn gespürt hat.

Das Pontifikat Papst Pius des IX. dauerte von 1846 bis 1878 an und prägte die katholische Kirche des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts maßgeblich. (KNA)
Das Pontifikat Papst Pius des IX. dauerte von 1846 bis 1878 an und prägte die katholische Kirche des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts maßgeblich. / ( KNA )

Das ist nicht so, wie es vielfach dargestellt wird. Wenn ich die Worte Verbrechen, Raub und Entführung lese, das muss man differenziert sehen. Und man muss immer alles aus der Sicht der 1850er Jahre betrachten. Wir können nicht mit unserer Sicht auf diesen Fall schauen.

Ulrich Nersinger

"Es hat absolut nichts mit Antisemitismus oder Antijudaismus zu tun."

DOMRADIO.DE: Das bringt der Film aber natürlich so mit sich, oder?

Nersinger: Mir tut es in der Seele weh zu sehen, wie ein so notwendiger und so erfolgreicher christlich-jüdischer Dialog durch die Unkenntnis der Geschichte und Materie, die sich dort zeigt, unnötig beschädigt wird. Es werden Unwahrheiten behauptet, wie zum Beispiel, dass Garibaldi 1870 den Kirchenstaat befreit hat, was einfach geschichtlich nicht stimmt. Wobei ich noch anführen möchte, diese Sache wäre genauso passiert, wenn die Familie einen anderen Glauben gehabt hätte. Es hat absolut nichts mit Antisemitismus oder Antijudaismus zu tun.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR