In der Hartz-IV-Diskussion sind sich auch Kirchenvertreter nicht einig

Gutscheine und andere Gesellschaftsfragen

In der Debatte um die zukünftigen "Hartz IV"-Leistungen melden sich nun auch die Kirchen zu Wort. Auf der einen Seite mit der Forderung von Bischöfen, die Sätze für Langzeitarbeitslose zu erhöhen. Der für seine Sozialarbeit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Kölner Pfarrer Franz Meurer dagegen begrüßt ein Gutscheinmodell. Gegenüber domradio.de macht er sich erneut für eine neue "Kultur der Communio" stark.

 (DR)

Das Hauptproblem von Hartz IV ist nicht die Geldsumme, so Meurer am Dienstag (03.08.2010), "sondern dass es zu einem Milieu kommt, in dem die Kinder verwahrlosen". Das Problem sei die Perspektivlosigkeit. "Wenn die Leute keine Aussicht mehr haben, jemals mehr Arbeit zu bekommen, geben sie die Hoffnung auf." Das müsse verhindert werden.

"Wir müssen zum Beispiel dafür sorgen, dass die Vorsorgeuntersuchungen für die Kinder gemacht werden, dass die Kinder mit Migrationshintergrund Zugang zu Bildung erhalten. Der Bildungsgutschein ist grundsätzlich eine gute Idee. Aber: Wir müssen als Gesellschaft aufhören,  nicht wahrzunehmen, dass ein Drittel der Menschen einfach nicht mehr am normalen Arbeitsleben teilnimmt. Der Markt gibt ihnen keine Chance."

Der Pfarrer macht sich für eine "Kultur der Communio" stark. "Es ist fünf vor zwölf eine Gesellschaft neu zu begründen, wo der eine für den anderen einsteht."

Zollitsch und July
Im Hamburger Abendblatt sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, zuvor: «Wir haben eine Verpflichtung, uns für ein menschenwürdiges Leben einzusetzen. Ich warne vor sozialem Kahlschlag und fordere soziale Ausgewogenheit.» Zugleich sprach er sich dafür aus, zugunsten höherer «Hartz IV»-Sätze auch höhere Schulden in Kauf zu nehmen.

Der evangelische württembergische Landesbischof Frank Otfried July forderte einen Anstieg der Sätze um 20 Prozent. «Wir sprechen diesen Menschen sonst ihre Lebensqualität ab.» Der Landesbischof machte deutlich: «Arbeitslose und ihre Kinder haben einen Rechtsanspruch auf soziale Teilhabe. Da darf es keine Kompromisse in Form weiterer Einschnitte geben.»

Kritik äußerten Zollitsch und July an dem von der Regierung angedachten Chip- oder Gutscheinsystem für Kinder. Zollitsch sei dazu «sehr skeptisch, da damit die Verantwortung der Eltern nicht wirklich ernst genommen wird.» Auch July lehne ein solches System ab, denn «die soziale Ausgrenzung darf nicht sichtbar werden.» Alternativ schlug er vor, ein generelles Chipkartensystem einzuführen: «Wir könnten uns vorstellen, dass alle Kinder eine Chipkarte bekommen. Die einen Kinder bekommen dann ihre Chipkarte von den Eltern aufgeladen, die anderen Kinder bekommen einen Zuschuss vom Staat auf ihre Karte.»

420 Euro als neuer Regelsatz
Auch Katrin Göring-Eckardt, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), fordert eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze auf etwa 420 Euro pro Monat. Das Verfassungsgericht habe klargemacht, dass man nicht leben könne von dem, was jedem zur Sicherung seines Lebensunterhalts gesetzlich zustehe, schreibt Göring-Eckardt in einem Beitrag für das evangelische Monatsmagazin "chrismon".

Fast zwei Millionen Kinder lebten heute in Deutschland von Sozialleistungen, stellte die Grünen-Politikerin Göring-Eckardt heraus, die auch Vizepräsidentin des Bundestags ist: "Sie gehören zu denen, die in Armut leben, in Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt." Es sei nicht ihre Intelligenz, nicht ihr Witz, nicht ihr Engagement, nicht ihr Talent, das zählte, sondern - mehr als in jedem anderen Land der Welt - der Kontostand der Eltern, kritisierte Göring-Eckardt.

Bildung und Betreuung seien zumindest eine Möglichkeit, aus dem Armutskreis auszubrechen. "Bildung und individuelle Förderung von klein auf sind kein Almosen, sondern Bürgerrecht", schreibt die EKD-Synodenpräses. Es gehe um Elementares, um die Freiheit, seine Talente zu entfalten und Chancen ergreifen zu können - egal, wo man herkomme, wohne und wie man heiße.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar der Regierung aufgegeben, bis Ende 2010 eine nachvollziehbare Berechnungsgrundlage vorzulegen und die Regelleistungen für rund 6,8 Millionen Hartz-IV-Empfänger entsprechend anzupassen. Der jetzige Regelsatz liegt bei 359 Euro im Monat. Bis zum Herbst will die Koalition die neuen Sätze berechnen.