Der Hamburger Michel hat zwei neue Glocken bekommen

"Nicht die Melodie von Big Ben"

1917 wurden die meisten Glocken des Hamburger Michels eingeschmolzen. Jetzt ist das Geläut wieder komplett. Mit einem riesigen Spezialkran fanden Vaterunser- und Friedensglocke den Weg auf den Turm des Wahrzeichens.

Neue Glocken für den Hamburger Michel / © Daniel Reinhardt (dpa)
Neue Glocken für den Hamburger Michel / © Daniel Reinhardt ( dpa )

Unter dem grimmigen Blick Martin Luthers harren die beiden neuen Glockenzugänge des Michels ihres Trips in die Höhe. Sie warten zu Füßen einer schon ins Türkise korrodierten Statue des Reformators. So werden sie auch mal aussehen, denn auch sie sind aus Bronze gegossen. Noch aber bricht sich das Sonnenlicht an ihrem Korpus, während rund 130 Meter höher alle Vorbereitungen getroffen werden, um die neuen Glocken sicher in die Höhe zu hieven und abzustellen. Früher erledigten Männerarme das Hochziehen, heute ist ein blauer, fast 140 Meter hoher Spezialkran samt Mannschaft angerückt.

"FATHER FORGIVE - PERE PARDONNE - VATER VERGIB" - so steht es auf der neuen Vaterunserglocke. Vor einem Jahr wurde sie in Hessen gegossen, wie ihre kleine Schwester, die Friedensglocke. Beide wiegen 1,7 Tonnen und 870 Kilo. Sie komplettieren das Geläut des Michels, das nun seit fast einem Jahrhundert dezimiert ist: Im Jahr 1917 wurden die meisten Glocken der beiden Michel-Geläute zu militärischen Zwecken eingeschmolzen. Teils wurden sie ersetzt, teils beendete der Zweite Weltkrieg ihr kurzes Leben. Zur vollen Besetzung von vier Glocken kehrte das Uhrengeläut, das den Hamburgern die Stunden schlägt, bis dato aber nie zurück.

Die richtige Melodie für den Hamburger Michel

"Erst jetzt ist der Michel wirklich vollständig", sagt Alexander Röder, Hauptpastor und damit ein bisschen der Hausherr von Sankt Michaelis. "Es gab in den letzten Jahren eine Kommission, die versucht hat herauszufinden, wie die Glocken, die ja noch gar nicht gegossen waren, gut zusammen klingen könnten", erklärt er. Verschiedene Spielweisen und Melodien seien getestet worden. Das Ergebnis werde man demnächst hören: "Es ist nicht die Melodie von Big Ben!"

Schwierige Arbeit in luftiger Höhe

Derweil hebt der blaue Kran Teile eines Gerüstes und speziell zugeschnittene Holzplatten auf die Aussichtsplattform des Michelturms. Die Glocken dürfen den festen Fußboden der Plattform nicht berühren, das wäre schlecht für sie und den Fußboden. Deshalb legen Arbeiter die Holzplatten auf den Grund. Auch ein Handhubwagen rauscht am Haken hinauf - was man dort oben so alles braucht, wenn man Glocken anbringt.

Seit Januar harrt die Baudirektion am Michel guten Wetters: Schon ein paar Mal musste sie das Hochziehen der Glocken absagen, weil es zu windig war. Die Glocken hätten anfangen können zu pendeln. Die Kuppel des Michelturms steht aber auf Säulen, weshalb die Glocken durch die Zwischenräume hindurchgezirkelt werden müssen. Dazu darf der Wind nicht schneller blasen als mit 20 Stundenkilometern.

"Er ändert Zeit und Stunde"

Heute kommt er weit weniger kräftig daher. Deshalb kann die kleine Glocke bedenkenlos mit dem Kranhaken verbunden werden, bevor sie abhebt und geradezu gen Himmel düst, bis sie neben der Kuppel verharrt. Da hängt sie nun, ohne Klöppel und mit ihrem Motto "Er ändert Zeit und Stunde". Schließlich geht es zentimeterlangsam durch die Säulen der Kuppel hindurch, wo die Arbeiter sie in Empfang nehmen. Sie schieben die Friedensglocke unter die eigens erneuerte Stahlkonstruktion, von der sie demnächst hängen und läuten wird. Dann folgt auf ähnliche Weise ihr großer Bruder.

Wann es so weit sein wird und die Glocken das erste Mal komplett läuten, das ist noch nicht ganz klar. Ab dann aber wird es zuverlässig jede Stunde so weit sein.

Christina Rietz


Quelle:
KNA