Der Franziskus-Kontinent Lateinamerika ist in rasantem Wandel

Tiefe Religiosität gepaart mit Zweifeln

Franziskus hat seinen Kontinent und sein Heimatland Argentinien geliebt. Er hat hart für ihn gekämpft, auch weil er die Gefahren für dessen Zukunft erkannte. In Argentiniens Parteipolitik wollte er nicht einsteigen.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Argentinien: Plakat von Papst Franziskus in Buenos Aires / © Tobias Käufer (KNA)
Argentinien: Plakat von Papst Franziskus in Buenos Aires / © Tobias Käufer ( KNA )

Lateinamerika heißt auch der "katholische Kontinent". Doch wäre es Illusion - wie man spätestens seit der Amtszeit von Papst Franziskus weiß -, einen gesamten Subkontinent als kulturellen oder gesellschaftlichen Monolithen wahrzunehmen. Lateinamerika, das ist ein Gesamt von Ländern wie in Europa etwa Albanien und Norwegen, die Schweiz und Russland.

Die katholische Kirche in Lateinamerika hängt zwischen Baum und Borke. Einerseits wurden in westlicher orientierten Ländern wie Chile oder Mexiko kirchliche Missbrauchsskandale von teils großem Ausmaß aufgedeckt. Zugleich schlagen vor allem soziale Nöte gnadenlos zu, die noch verstärkt wurden durch die Corona-Pandemie. In ihrem Kampf gegen Not leidet die Kirche auch unter gravierendem Priester- und Seelsorgermangel sowie der Abwerbung von Gläubigen durch Sektenkirchen und unseriöse Heilsversprecher.

Trommelnde Männer bei einer Trauerfeier für Papst Franziskus am 26. April 2025 in Buenos Aires / © Mariano Campetella (KNA)
Trommelnde Männer bei einer Trauerfeier für Papst Franziskus am 26. April 2025 in Buenos Aires / © Mariano Campetella ( KNA )

Mehr als 500 Millionen und damit über 40 Prozent der Katholiken weltweit leben in dieser Region, die maßgeblich durch vier Jahrhunderte spanischer und portugiesischer Kolonialgeschichte geprägt ist.

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts brachte für Lateinamerikas Ortskirchen vielfache Umbrüche. Die traditionelle Allianz zwischen Kirchenoberen und herrschenden Eliten wurde aufgebrochen: Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und die "Theologie der Befreiung" auf der einen sowie zahlreiche blutige Bürgerkriege und Militärdiktaturen auf der anderen Seite brachten die Kirche zu einer "vorrangigen Option für die Armen" und Unterdrückten. Dafür gerieten Bischöfe und Menschenrechtler ins Visier gedungener Mörder.

Befreiungstheologie als Reizthema

Die Sicht auf die Theologie der Befreiung ist bis heute mit Ideologisierungen behaftet und umstritten. Für Johannes Paul II. (1978-2005), den Papst aus dem kommunistisch regierten Polen, war der Gedanke an eine Verquickung von Christentum und Marxismus unerträglich. Auch sein oberster Glaubenshüter Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. (2005-2013), dachte im Umgang mit der Befreiungstheologie vor allem europäisch.

Ein theologischer "Rollback" war die Folge: Lateinamerikas Bischöfe standen zwischenzeitlich deutlich weniger "links" als die der 80er Jahre. Zugleich fanden Botschaften der lateinamerikanischen Theologie Eingang in die offizielle Sozialverkündigung der Gesamtkirche. Papst Franziskus (2013-2025) war in diesem Sinne ein linker Lateinamerikaner auf dem Papstthron ("Diese Wirtschaft tötet!").

Seine vertrauliche Nähe zu Linkspolitikern seines Kontinents ist ihm im Westen oft angelastet worden.

Grundpfeiler des Zusammenlebens

So verschieden die gesellschaftliche, wirtschaftliche und kirchliche Lage in den Ländern des Subkontinents ist: In den vergangenen Jahren war in vielen Staaten Lateinamerikas, ausgehend von Venezuela, Ecuador, Nicaragua und Bolivien - ein politischer Linksruck zu verzeichnen, den die katholische Kirchenführung dort oft kritisch begleitete. Mancherorts sind sogar Bischöfe die einzig vernehmbare Opposition, wie auf Kuba oder in Venezuela und Nicaragua.

Symbolbild Flüchtlinge aus Venezuela in Kolumbien / © bgrocker (shutterstock)
Symbolbild Flüchtlinge aus Venezuela in Kolumbien / © bgrocker ( shutterstock )

Dabei legen die Kirchenführer Wert auf die Feststellung, ihnen gehe es nicht um Parteipolitik, sondern um die Grundpfeiler gesellschaftlichen Zusammenlebens: Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde. Weitere Positionen im Sozialen Diskurs sind der Schutz von Migranten, der traditionellen Familie, Lebensschutz oder der Kampf gegen Drogenkriminalität.

Explosion evangelikaler Sekten

Ein starker Trend auf dem Kontinent ist die fast explosionsartige Ausbreitung evangelikaler Gemeinschaften. Einst von den USA massiv befördert als ein Gegengewicht zum "linken", befreiungstheologisch geprägten Katholizismus, gewannen diese Gruppierungen mit massiver medialer Präsenz, einer rasant schnellen "Ausbildung" von Predigern und haltlosen Heilsversprechen großen Zulauf; vor allem dort, wo die "normale" katholische Pfarrseelsorge durch Priestermangel an die Grenzen ihrer Ressourcen stößt: in den Favelas, bei Verzweifelten und Heilsuchenden.

Evangelikale beim Karneval in Rio  / © Andreas Behn (epd)
Evangelikale beim Karneval in Rio / © Andreas Behn ( epd )

Tiefe Religiosität ist in Lateinamerika ein so allgemeines wie alltägliches Phänomen. Der Glaube ist hier viel stärker emotional geprägt als von kritischer Vernunft oder Empörungskultur. Gemeinde ist oft noch tatsächlich Ort gemeinsamen Lebens, Lernens und Teilens.

Basisgemeinden und Hauskirchen

Hier gibt es "Kleine Gruppen", Basisgemeinden, Hauskirchen, für die sich Familien zusammenschließen, um Gottesdienst zu feiern. Junge charismatische Gemeinschaften unterhalb von "kirchlichen Strukturen" zu fördern, war ein Ansatz der Versammlung von Aparecida 2007, wo der Lateinamerikanische Bischofsrat CELAM - unter Federführung des späteren Papstes Franziskus - eine neue "kontinentale Mission" beschloss.

In den vom Modernisierungsschub erfassten Ländern Lateinamerikas hat die katholische Kirche nach wie vor eine starke Stimme. Sie hat aber täglich zu kämpfen - und vielfältige Vermittlungsprobleme.

Lateinamerikanischer Bischofsrat CELAM

Der Lateinamerikanische Bischofsrat CELAM ("Consejo Episcopal de Latinoamericano") ist der Zusammenschluss von 22 nationalen Bischofskonferenzen Lateinamerikas und der Karibik. Seine Aufgabe ist es, der Kirche in den Mitgliedsländern theologische und pastorale Impulse zu geben, Kontakte zwischen den Mitgliedern herzustellen und die Zusammenarbeit zu fördern.

Gruppenbild Papst Franziskus mit CELAM / © Osservatore Romano (KNA)
Gruppenbild Papst Franziskus mit CELAM / © Osservatore Romano ( KNA )
Quelle:
KNA