Margot Käßmann über die Mutter in der Gesellschaft

"Der Druck ist groß"

Die Theologin und ehemalige evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann spricht im Interview über die Herausforderungen und Rolle der Mütter in der Gesellschaft – und darüber, wie sie den Muttertag verbringt. 

Margot Käßmann / © Norbert Neetz (epd)
Margot Käßmann / © Norbert Neetz ( epd )

DOMRADIO.DE: Was sind denn die schlimmsten oder schärfsten gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter in Deutschland?

Margot Käßmann: Ich denke, dass so viel geurteilt wird über Mütter. Alle haben ein Bild davon, was eine gute Mutter ist. Verzichtet die Mutter auf Berufstätigkeit, um sich der Erziehung der Kinder zu widmen, dann heißt es: 'Sie ist ein Heimchen am Herd'. Danach muss die Mutter wieder in die 'Arbeitswelt eingegliedert werden'. Als hätte sich die Mutter irgendwo auf dem Mond befunden.

Wenn Mütter berufstätig sind, dann gelten sie ganz schnell als Rabenmutter. Es gab ja sogar den schlimmen Begriff 'Gebärmaschinen'. Also, ich wünsche mir, dass die Frauen die Freiheit haben ihr Muttersein zu gestalten ohne dass alle urteilen.

DOMRADIO.DE: Was meinen Sie woher das kommt, diese starke Bewertung des Mutterseins oder Nicht-Mutterseins von außen?

Käßmann: Nun, ich denke, jeder Mensch hat eine Mutter und wünscht sich wahrscheinlich auch diese ganz besondere Mutter, die sich dir zuwendet. Aber die Bilder der Gesellschaft – woher die kommen, kann ich nicht genau sagen, aber – die sind doch sehr stark bestimmt von Idealen. Die ideale Mutter ist ganz zu Hause. Das war natürlich früher das große Mutterbild.

Die berufstätige Mutter hingegen soll heute alles ganz locker in der Industriegesellschaft hinkriegen, als wäre es nicht so, dass du nach einer durchwachten Nacht, wenn das Kind zahnt, fix und fertig bist. Aber nein, da gibt es strahlende Mutterbilder. Ich nehme jetzt mal Kate Middleton, die kommt nach der Geburt des dritten Kindes sechs Stunden später schlank und rank und gut geschminkt aus dem Krankenhaus, da sagen natürlich andere Mütter: 'Wie sah ich denn aus nach der dritten Geburt'.

DOMRADIO.DE: Das war jetzt ein Beispiel aus Großbritannien. Denken Sie, dass diese Bewertung der Mütter hier in Deutschland stärker ausfällt als woanders?

Käßmann: Ich glaube, dass es in Deutschland nicht unbedingt stärker ausfällt. Aber in Deutschland gab es lange Zeit gar keine Strukturen, wie in Frankreich die école maternelle. Dort war es selbstverständlich – schon als ich damals Austauschschülerin war vor 50 Jahren – dass Frauen berufstätig waren, wenn sie Mutter waren. Das ist in Deutschland und Österreich schon sehr besonders. Ich glaube es ist auch ein Einfluss des Nationalsozialismus, der noch langfristig wirkt. Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind, da gab es große Bücher darüber.

DOMRADIO.DE: Sehen Sie die Zerrissenheit zwischen Kindern und Job als Hauptproblem für Mütter heute in Deutschland?

Es ist ein großes Problem, weil die Frauen natürlich gut ausgebildet sind. Sie möchten Geld verdienen. Sie sollten es auch tun, muss ich mal sagen. Ich bin jetzt im Ruhestand und es ist gut ist, wenn Frauen auch im Alter abgesichert sind, weil sie berufstätig waren. Aber ich glaube schon, dass sie heute unter einem größeren Druck stehen als wir damals, weil erwartet wird, dass alles ganz locker miteinander vereinbar ist. Das ist es natürlich nicht, weil wir keine ausreichende Versorgung mit Kindertagesstätten haben und weil natürlich auch Frauen immer wieder darum ringen: Können sie zurück an den Arbeitsplatz, bekommen sie die gleiche Stelle wieder, werden sie genauso wertgeschätzt oder sind die anderen ohne Kinder längst beruflich an ihnen vorbeigezogen.

DOMRADIO.DE: Sehen Sie das denn in Deutschland, dass Mütter und Nicht-Mütter manchmal auch gegeneinander ausgespielt werden?

Käßmann: Das sehe ich. Meine Hoffnung ist, dass Frauen sich das nicht länger gefallen lassen, sondern sagen: 'Es ist eine Entscheidung für Kind oder ohne Kind zu leben'. Viele Frauen – das müssen wir auch sagen – hätten gerne ein Kind und können kein Kind bekommen. Das ist natürlich eine ganz eigene Dramatik im persönlichen Leben. Also ich wünsche mir, dass Frauen da solidarisch sind, ob sie jetzt Kinder haben oder nicht und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.

DOMRADIO.DE: Welchen Anteil haben denn die Frauen selbst an alledem? Könnten die sich nicht sowieso durch innere Unabhängigkeit äußeren Erwartungen entziehen?

Käßmann: Ich wünsche den Frauen natürlich, dass sie diese innere Unabhängigkeit haben. Aber ich sehe ja bei meinen vier Töchtern, wie groß dieser Druck ist. Du möchtest Kinder, du wünschst dir Kinder, du liebst deine Kinder und gleichzeitig hast du natürlich auch Lust, berufstätig zu sein. Dieses ewige schlechte Gewissen hatte meine Generaltion schon: Einmal gegenüber dem Beruf, wenn du bei den Kindern bist. Und bei den Kindern, wenn du im Beruf bist. Ich glaube, daran müssen wir wirklich noch arbeiten.

DOMRADIO.DE: Vor dem Hintergrund all dessen, was Sie jetzt gesagt haben: Wie begehen Sie den Muttertag?

Käßmann: Ich werde jetzt gleich mit zwei Töchtern und drei Enkelkindern spazieren gehen. Darauf freue ich mich. Ansonsten habe ich mich natürlich auch gefreut als Mutter, wenn Kleinigkeiten aus dem Kindergarten mitgebracht wurden. Aber ich würde es auch nicht überhöhen und sagen: Ich freue mich jeden Tag, dass ich Mutter bin und es muss nicht so getan werden als sei an diesem Tag nur auf einmal alles anders.

Das Interview führte Hilde Regeniter. 


Quelle:
DR