"Ich bin als Deutscher geboren und seit 60 Jahren Amerikaner, besaß aber in den schlimmsten Zeiten von Diktatur und Krieg überhaupt keinen Pass, während einige Jahre später gleich vier Staaten bereit waren, mir den ihren auszustellen." So fasst Blumenthal in seiner Biografie die Höhen und Tiefen seines Lebens zusammen. Zufall, Glück und Willkür haben seinen Lebensweg entscheidend geprägt, so sieht er es selbst - aber auch der Wille, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Seine Erlebnisse hätten ihn "instinktmäßig" auf die Seite der "Unterdrückten, der Diskriminierten, der Ärmeren" geführt, erzählt er. Und sie hätten ihn trotz allem zum Optimisten gemacht: "Auch in schwierigsten Zeiten tun sich Menschen zusammen, um auf moralisch und ethisch vernünftige Weise zu handeln", sagt der Mann mit den wachen Augen energisch.
Am 3. Januar 1926 wird Werner Michael Blumenthal in Oranienburg bei Berlin als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie geboren. Doch der Zusammenbruch des Weltfinanzsystems und schlechtes Management treiben die Blumenthal-Bank bald darauf in den Bankrott,
1929 kommt die vierköpfige Familie als "Gnadenbrotempfänger" bei der Großmutter in Berlin unter.
Die Mutter sei es gewesen, die die Familie zusammengehalten hat, beschreibt Blumenthal die Zeit in Berlin. Bald betreibt sie erfolgreich ein kleines Modegeschäft. Da folgt der nächste Schlag: Die Nazis kommen an die Macht.
Bei den Novemberpogromen 1938 wird auch das Geschäft der Mutter zertrümmert, sie wird angewiesen zu "arisieren". Der Vater wird von der Polizei abgeholt. Sechs Wochen später kehrt er "in jämmerlichem Zustand" aus dem KZ Buchenwald zurück. Die Mutter beginnt unter schwierigsten Bedingungen die Flucht vorzubereiten, am 6. April 1939 bricht die Familie ins Exil auf.
Ziel Schanhai
"Unser Ziel war die internationale Stadt Schanghai, ein berüchtigter, von Verbrechen, Armut und Krankheit geprägter Ort am anderen Ende der Welt, die letzte Zuflucht derjenigen, die kein anderes Asyl gefunden hatten", schreibt Blumenthal über die Entscheidung für die von Japan besetzte Stadt in China.
Doch auch in der Ferne holt sie die Verfolgung ein: Die 18.000 jüdischen NS-Flüchtlinge in Schanghai müssen 1943 in ein Ghetto umziehen und dort mehrere Jahre im Elend verbringen.
Erst zwei Jahre nach Kriegsende darf der inzwischen staatenlose Michael Blumenthal 1947 nach San Francisco ausreisen. Er fängt an zu studieren und arbeitet nebenher. Bei einem Tellerwäscherjob arbeitet er mit dem späteren pakistanischen Ministerpräsidenten Zulfikar Ali Bhutto zusammen. Blumenthal wird Staatswissenschaftler und Ökonom, lehrt an der Universität, leitet ein Unternehmen, wechselt 1961 in die Politik, wird Berater der Präsidenten Kennedy und Johnson, nimmt an internationalen Wirtschaftsverhandlungen teil. 1977 wird er von US-Präsident Carter zum Finanzminister berufen, 1979 geht er wieder in die Wirtschaft.
Das Ruhestandsalter hat er längst erreicht, als er die Leitung des neuen Jüdischen Museums in Berlin übernimmt und es zu einer international anerkannten Einrichtung macht. Nur "Tennis, Zigarren, Golf spielen", das sei nichts, sagt er energisch und lacht. "Ich will etwas Vernünftiges tun!" Und er sei wohlhabend genug, sich das Ehrenamt auch leisten zu können, betont er. Falls er die Aufgabe doch irgendwann abgeben sollte, hat er bereits ein neues Ziel. Michael Blumenthal will wieder studieren, Kunstgeschichte diesmal.
Der Direktor des Berliner Jüdischen Museums wird 85 Jahre alt
Vom Flüchtling zum Weltpolitiker
Aus Oranienburg hat ihn das Leben um den ganzen Globus geführt: Auf der Flucht vor den Nazis hat es die Familie Michael Blumenthals fast mittellos nach Schanghai verschlagen. Dann ging der Weg weiter in die USA und damit nach oben. Seit 1997 ist der frühere US-Finanzminister Direktor des Jüdischen Museums in Berlin und pendelt zwischen der Stadt und seinem Wohnsitz in den USA. Heute wird der promovierte Wirtschaftswissenschaftler 85 Jahre alt.
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