In den USA gehen immer mehr Menschen auf Distanz zu Kirchen

Kratzer am christlichen Image der Nation

In den USA gehen immer mehr Menschen auf Distanz zu Kirchen und Glaubensgemeinschaften. Jeder fünfte US-Amerikaner bezeichnet sich inzwischen als religiös ungebunden. Die Entwicklung könnte Auswirkungen auf das Ergebnis der US-Wahlen haben.

Autor/in:
Konrad Ege
 (DR)

Verglichen mit Deutschland sind die USA eine religiöse Nation. Doch die religiöse Vielfalt wächst, und auch die Zahl derer, die sich von Kirchen und Glaubensgemeinschaften distanzieren. Zwar steht auf den Geldscheinen noch "In God we trust", wenn US-Amerikaner jedoch heute von ihrem Glauben sprechen, ist nicht mehr klar, welcher Gott gemeint ist. Das brachte eine unlängst veröffentlichte Studie des "Pew Research Center" ans Tageslicht, bei der 3.484 US-Bürger befragt wurden.



Der Untersuchung zufolge gab jeder fünfte befragte US-Amerikaner an, religiös ungebunden zu sein. Im Jahr 1990 waren dies nur acht Prozent. Besonders junge Menschen gehen inzwischen auf Distanz zur organisierten Religion. Ein Drittel der US-Amerikaner unter 30 Jahren gehört keiner Glaubensgemeinschaft an.



Protestanten besonders betroffen

Auswirkungen hat die religiöse Erosion diese Entwicklung besonders auf die Protestanten in den USA: Erstmals sei der Anteil der Protestanten an der US-Bevölkerung auf unter 50 Prozent gefallen, teilten die Demoskopen mit. Nur noch 48 Prozent der Befragten bezeichneten sich als Protestanten, darunter 19 Prozent als weiße Evangelikale und 15 Prozent als Mitglieder weißer protestantischer Volkskirchen. Vor 40 Jahren lag der Gesamtanteil der Protestanten noch bei zwei Dritteln der Bevölkerung.



Bei den Kirchenvertretern ist die Erklärungsnot groß: Religiöse Etikette bedeutete jungen Menschen nicht mehr so viel, seien sie doch "Produkte einer pluralistischen Welt", erklärte etwa Peg Chemberlin, Direktorin des ökumenischen Kirchenrates von Minnesota, im "Religion News Service". Und der Präsident des baptistischen Instituts "Lifeway Research", Ed Stetzer, verwies auf die "zunehmende Säkularisierung" als Grund für den Zugehörigkeitsverlust.



Auf der anderen Seite, auch das macht die Untersuchung deutlich, üben vor allem die Menschen ohne religiöse Bindung, scharfe Kritik an den organisierten Kirchen. 70 Prozent der US-Amerikaner "ohne Bindung" gaben an, religiöse Einrichtungen seien zu sehr auf "Geld und Macht" aus. 67 Prozent kritisierten, Kirchen mischten sich zur sehr in die Politik ein. Zugleich, auch das hebt die Untersuchung hervor, versteht sich die Mehrzahl der Menschen ohne religiöse Bindung versteht als spirituell. Zwei Drittel glauben sogar an die Existenz eines Gottes. Das Ergebnis ist eine Patchwork-Religiosität. Man nimmt vom religiösen Buffet, was schmeckt.





Seit 1864 ist die Formel "In God We Trust" auf Geldscheine und Münzen gedruckt. Damals war unbestritten, dass mit Gott der Gott des Christentums gemeint ist. Keine Nation könne "stark sein ohne Gottes Stärke", erklärte damals Finanzminister Salmon Chase. Kritik an der Verbindung von Gott und Geld kam im Laufe der Geschichte unter anderem von Präsident Theodore Roosevelt (1901-09). Er monierte im Jahr 1907, der Hinweis auf Gott auf dem Geld erscheine ihm "despektierlich und geradezu gotteslästerlich".



Grund zur Sorge

Im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf hat sich der Republikaner Mitt Romney für das Glaubensbekenntnis auf dem Geld stark gemacht. Er werde "Gott nicht von den Münzen entfernen", versprach Romney jüngst in Virginia Beach - mit dem Unterton, dass man seinem Rivalen Barack Obama so etwas zutrauen könne. Obamas Sprecherin Jen Psaki reagierte prompt und erklärte Medienberichten zufolge, ein solches Unterfangen sei so "unwahrscheinlich wie ein Angriff Außerirdischer auf Florida".



Für Romney und das konservative Amerika ist die Untersuchung des "Pew Research Institut" Grund zur Sorge. Denn die 20 Prozent ohne religiöse Bindung sind politisch eher progressiv eingestellt. Damit ist die Gruppe zahlenmäßig so stark wie die der weißen Evangelikalen, die gewöhnlich die Republikaner wählen.