Debatte um Rückgang der Organspenden

"Das können wir uns nicht länger leisten"

Die Ärzte sind alarmiert: Nach drei Jahren mit leichtem Aufwärtstrend ist die Zahl der Organspenden in Deutschland 2008 wieder deutlich zurückgegangen. Damit dürfte eine Debatte wieder aufleben, die in den 90er Jahren die Politik lange in Atem gehalten hat, zuletzt aber eher vor sich hin köchelte: Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen, weil es zu wenig Organspender gibt.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) am Mittwoch mitteilte, haben bundesweit 1.198 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe gespendet. Das waren 8,8 Prozent weniger als 2007. Die Anzahl der gespendeten Organe hat sich dabei von 4.140 auf 3.945 verringert.

Der Druck auf die Politik wächst, das 1997 verabschiedete Transplantationsgesetz zu reformieren oder zumindest die Rahmenbedingungen für Organspenden zu verbessern. Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Theodor Windhorst, macht aus seiner Meinung keinen Hehl: Zwar bestehe in der Bevölkerung generell eine hohe Bereitschaft, Organe zu spenden - mehr als 70 Prozent äußern sich positiv. Doch nur 14 Prozent der Bundesbürger hätten einen Spenderausweis. «Diese Diskrepanz können wir uns nicht länger leisten», mahnt das Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer (BÄK).

Fest steht: Mit 14,6 Organspendern auf eine Million Einwohner liegt Deutschland in Europa nur auf den hinteren Plätzen. In Belgien, Österreich, Frankreich, Italien und Finnland gibt es mehr als 20 Organspender pro eine Million Einwohner. Spitzenreiter ist Spanien mit 34. Deutschland lasse ein riesiges Potenzial ungenutzt, kritisiert der medizinische DSO-Vorstandsvorsitzende Günter Kirste - und gleichzeitig stehen mehr als 12.000 Bundesbürger auf der Warteliste für ein lebensrettendes Organ.

Um das zu ändern, gibt es viele verschiedene Vorschläge: Heftig umstritten und wohl chancenlos sind die von der Medizinerin Alena Buyx vorgeschlagenen «moderaten finanziellen Anreize» - etwa die Übernahme der Beerdigungskosten von Spendern oder steuerliche Vorteile zu Lebzeiten. Die Bundesärztekammer warnt vor einer «Kommerzialisierung»; sie widerspräche dem Solidarprinzip und dem ärztlichen Ethos.

Immer wieder vorgeschlagen, aber auch heftig kritisiert wird eine Änderung des Transplantationsgesetzes. Derzeit dürfen Organe in Deutschland nur entnommen werden, wenn der Spender zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat oder seine Angehörigen im Sinne des Verstorbenen grünes Licht geben. Bei einer Widerspruchslösung dürften Organe immer dann entnommen werden, wenn der Spender zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat - was den Kreis potenzieller Spender erweitern könnte. Doch ein solches Vorgehen trifft auf verfassungsrechtliche Bedenken. «Dass Schweigen eine Zustimmung ist, das kennen wir in unserer Rechtsordnung nicht», sagt etwa der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation der BÄK, Hans Lilie.

Die DSO sieht den Schlüssel für mehr Organspenden vor allem in einer Bündelung der Zuständigkeiten in ihrer Hand: Bislang mische eine Vielzahl von Kräften mit - von den Krankenhäusern über die Gesundheitsverwaltungen bis hin zu Ärztekammern und Ministerien. Das deutsche System sei schlecht strukturiert, deshalb würden viele Spender gar nicht erst erkannt, bemängelt DSO-Chef Kirste. Jeder könne sich hinter dem anderen verstecken.

Ansetzen will die DSO vor allem bei den Krankenhäusern: Sie müssten verpflichtet werden, mögliche Organspender zu melden, und sollten andernfalls finanziell bestraft werden. «Manche Universitätskliniken melden zehnmal mehr Organe als andere», sagt Kirste. Auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sieht die Kliniken stärker in der Verantwortung: Sie fordert einen verstärkten Einsatz von sogenannten Transplantations-Beauftragten, die potenzielle Organspender beziehungsweise deren Angehörige gezielter ansprechen.
Schmidt sprach sich dafür aus, auf der zukünftigen elektronischen Gesundheitskarte auch einen Hinweis abzuspeichern, ob der Inhaber bereit ist, Organe zu spenden.