Debatte über TV-Boykott der Fußball-WM erfasst auch Kirche

Mitfiebern oder abschalten?

Kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft geht die Debatte über einen TV-Boykott des Turniers weiter. Auch Vertreter aus Kirchenkreisen und Politik in Deutschland melden sich zu Wort. Ihre Meinung fällt unterschiedlich aus.

Deutsche Fans fiebern vor dem Fernseher mit (Archiv) / © KarepaStock (shutterstock)
Deutsche Fans fiebern vor dem Fernseher mit (Archiv) / © KarepaStock ( shutterstock )

Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), hält die Austragung in Katar für einen "riesengroßen Fehler". "Diese WM verkommt zur Farce", erklärte Lehmann in Berlin. Er selbst sei kein großer Fußballfan und werde sich die Spiele nicht anschauen. Das Turnier beginnt am Sonntag.

Theologe Nikolaus Schneider / ©  Fritz Stark (epd)
Theologe Nikolaus Schneider / © Fritz Stark ( epd )

Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, befürwortet einen Fernsehboykott. Dies sei eine Weltmeisterschaft "am falschen Ort und zur falschen Zeit", schreibt Schneider in der Zeitschrift "Publik-Forum" (Freitag). "Die schönste Nebensache meines Lebens darf für mich nicht im krassen Widerspruch zu den Hauptsachen stehen: etwa zu Menschenrechten." Er wolle kein Spielverderber sein. "Doch die WM in Katar werde ich mir nicht anschauen", so der 75-jährige Theologe.

KAB will mehr Kontrolle bei Vergaberegeln

Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) forderte eine stärkere Kontrolle der FIFA-Vergaberegeln. Die Menschenrechte von Arbeitnehmern seien mit dieser WM mit Füßen getreten worden. Die acht Austragungsstädten seien buchstäblich zu Grabstätten mutiert, erklärte Bundespräses Stefan Eirich. Die KAB warf den Verantwortlichen vor, 2010 in maßloser Raffgier gehandelt zu haben. "Ein breiter Boykott dieser Spiele ist für faire Fußball-Liebhabern mehr als verständlich", so Eirich.

Gregor Gysi (privat)

Der Linken-Politiker Gregor Gysi wandte sich gegen einen Boykott. Er verwies in "Publik-Forum" darauf, dass die WM den Kriterien des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit nicht standhalte. Sie sei auch "angesichts von Tausenden Todesopfern unter den Arbeitern, die die Stadien errichtet haben, ein menschliches Fiasko". Er halte jedoch wenig von Boykottaufrufen und fände es besser, "wenn die Spieler, die Offiziellen und die Zuschauer vor Ort mit vielen Menschen aufklärend sprächen". Denkbar seien auch schwarze Armbinden oder eine Schweigeminute vor jedem Spiel.

Ihm sei mit der Vergabe der WM an Katar deutlich geworden, "dass die Fifa letztlich bereit ist, für ihren Profit den Weltmeistertitel im übertragenen Sinn auf den Gräbern von 15.000 Menschen ausspielen zu lassen", so der 74-Jährige. Darum werde der Fußball nicht um eine Diskussion herumkommen, "wo die Grenzen der Kommerzialisierung zu ziehen sind".

Public Viewing und Protest vereinbar

Aus Sicht des katholischen Sozialethikers Andreas Lob-Hüdepohl lassen sich Public Viewing und Protest gegen die Menschenrechtslage in Katar verbinden. "Ich könnte mir in meiner Stadt Berlin gut vorstellen, dass ein Public Viewing, das ja gelegentlich sogar im Fernsehen übertragen wird, auch für eine Demonstration genutzt wird - etwa dann, wenn beides vor der Botschaft Katars oder vor einem anderen symbolträchtigen Ort stattfindet", sagte das Mitglied des Deutschen Ethikrates der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Lob-Hüdepohl forderte zugleich Unterstützung für alle, die sich für eine angemessene Entschädigung für die Hinterbliebenen einsetzten.

Infantino kritisiert "heuchlerische" Kritik am WM-Gastgeber Katar

FIFA-Präsident Gianni Infantino vor dem Eröffnungsspiel eine "Doppelmoral" westlicher Nationen gegen WM-Gastgeber Katar angeprangert. "Ich denke, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren weltweit gemacht haben, da sollten wir uns die nächsten 3000 Jahre entschuldigen, bevor wir anfangen, moralische Ratschläge an andere zu verteilen", sagte der 52-Jährige während einer Pressekonferenz in Al-Rajjan. Es sei "traurig", diese "Doppelmoral" erleben zu müssen.

FIFA-Präsident Gianni Infantino / © Nick Potts (dpa)
FIFA-Präsident Gianni Infantino / © Nick Potts ( dpa )
Quelle:
KNA