Debatte über Gedenkkultur am 9. November als deutscher Tag

Tiefpunkte und Sternstunden

Novemberrevolution, Hitlerputsch, Novemberpogrome und Mauerfall: Bundespräsident Steinmeier will den 9. November als Gedenktag profilieren. Vertreter des Judentums tun sich schwer damit.

Autor/in:
Christoph Arens
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier / ©  Michael Kappeler (dpa)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier / © Michael Kappeler ( dpa )

Er ist der wohl deutscheste aller Tage des Jahres. Wenn die Bundesbürger am 9. November auf ihre Geschichte zurückblicken, schauen sie auf absolute Tiefpunkte, aber auch auf Sternstunden.

Novemberrevolution, Hitlerputsch, Novemberpogrome und Mauerfall: Der 9. November ist, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vergangenes Jahr formulierte, "ein Tag der Widersprüche, ein heller und ein dunkler Tag, ein Tag, der uns das abverlangt, was für immer zum Blick auf die deutsche Vergangenheit gehören wird: die Ambivalenz der Erinnerung".

Steinmeier hatte im vergangenen Jahr dazu aufgerufen, dieses Datum als Tag des Nachdenkens über Deutschland intensiver zu begehen. Er hatte dafür plädiert, beides anzunehmen: Scham und Trauer über die Opfer sowie Respekt und Wertschätzung für die Wegbereiter der Demokratie. Vertreter des Judentums tun sich schwer damit: Sie sorgen sich, dass damit die Erinnerung an die "Reichskristallnacht" von 1938 und das Pogrom der Nazis gegen Juden und ihre Gotteshäuser in den Hintergrund treten könnte. Andererseits wird auch von Vertretern des Judentums eine Gedenkkultur kritisiert, die immer mehr zum Ritual wird.

Schloss Bellevue, Sitz des Bundespräsidenten / © Christophe Gateau (dpa)
Schloss Bellevue, Sitz des Bundespräsidenten / © Christophe Gateau ( dpa )

Erinnern im Schloss Bellevue

Aus diesem Grund hat der Bundespräsident zusammen mit dem Zentralrat der Juden in diesem Jahr für den 9. November zu einer Tagung unter dem Titel "Wie erinnern wir den 9. November? Ein Tag zwischen Pogrom und demokratischen Aufbrüchen" ins Schloss Bellevue eingeladen. Dabei wollen Zentralratspräsident Josef Schuster, Historiker und Politologen darüber debattieren, wie Gedenktage in Deutschland gelingen können und die Erinnerungskultur weiter entwickelt werden sollte.

Fest steht: Der 9. November ist ein Tag, an dem sich deutsche Geschichte verdichtet: Da ist der Fall der Mauer 1989. Endlich mal eine geglückte und friedliche Revolution - der glücklichste 9. November in der Geschichte der Deutschen. Weil die DDR-Bürger an diesem Tag letztlich den Weg zur Wiedervereinigung frei machten, war dieser Gedenktag zeitweilig sogar als Nationalfeiertag des vereinigten Deutschlands in der Diskussion. Doch ein uneingeschränkter Festtag hätte daraus nie werden können.

Erinnerung an die Opfer der Pogromnacht / © Sebastian Kahnert (dpa)
Erinnerung an die Opfer der Pogromnacht / © Sebastian Kahnert ( dpa )

Pogromnacht

Denn der 9. November markiert auch eine der dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte, den Absturz eines kulturell vermeintlich hoch stehenden Landes in die Barbarei: Am Abend des 9. November 1938 vollzog sich in Deutschland der bis dahin größte Judenpogrom der Neuzeit in Mitteleuropa. Mehr als 1.300 Menschen starben; mehr als 1.400 Synagogen und Beträume im gesamten Deutschen Reich wurden verwüstet und etwa 7.500 Geschäfte geplündert. Über 30.000 männliche Juden wurden in Konzentrationslager gebracht. Ein Zivilisationsbruch: Von den Novemberpogromen, der sogenannten Reichskristallnacht, führte der Weg nach Auschwitz, Treblinka und Buchenwald.

Novemberrevolution

Zum 9. November gehört auch ein anderer heller Moment der deutschen Geschichte: die Novemberrevolution und das Ende der Monarchie am 9. November 1918. Dieser Tag, an dem der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Berliner Reichstagsgebäude aus die Republik ausrief, gilt als die Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland.

Weitere Gedenkanlässe

Doch mit diesen Meilensteinen der Geschichte ist der 9. November noch immer nicht ausreichend als Gedenktag beschrieben. Am 9. November 1923 brach der sogenannte Hitlerputsch gegen die demokratische Reichsregierung in München kläglich zusammen. Ebenfalls am Vorabend des 9. November, diesmal 1939, scheiterte auch der geplante Bombenanschlag des Handwerkers Georg Elser auf Hitler. Er hätte womöglich den Zweiten Weltkrieg noch verhindern können.

Weithin verschwunden aus der Gedenkkultur ist der 9. November 1848. Die standrechtliche Hinrichtung des republikanischen Parlamentsabgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, Robert Blum, nach dem Oktoberaufstand in Wien bedeutete eine offene Kampfansage der Vertreter der Monarchie gegen das aus der bürgerlichen Märzrevolution hervorgegangene erste demokratisch gewählte gesamtdeutsche Parlament. Die Hinrichtung Blums markierte einen entscheidenden Wendepunkt: den Anfang vom Ende dieser Revolution.

Quelle:
KNA