Debatte nach Zwickauer Ermittlungen

Auf dem rechten Auge blind?

Die jahrelange Verharmlosung des Rechtsextremismus sei skandalös, erklärte die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, im domradio.de-Interview. Nach Bekanntwerden der mutmaßlichen rechten Mordserie an Migranten fordern auch andere Organisationen eine Kurskorrektur bei der staatlichen Extremismusbekämpfung.

 (DR)

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus warf staatlichen Stellen und insbesondere den Sicherheitsbehörden "komplettes Versagen" beim Umgang mit rechter Gewalt vor. Seit mindestens zehn Jahren sei klar, "dass sich die extreme Rechte bewaffnet und bereit ist, diese Waffen auch zu nutzen", sagte BAG-Sprecher Christian Staffa, der auch Geschäftsführer der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste ist.



Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten erklärte in Berlin, die wirkliche Gefahr für Demokratie und für Menschenleben gehe von Neonazis und Rassisten aus. Die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus sei absurd und realitätsfern, so ihr Sprecher Hans Coppi.



Bundesanwaltschaft ermittelt im Umfeld der Terrorgruppe NSU

Nach der Festnahme eines vierten mutmaßlichen Mitglieds der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ermittelt die Bundesanwaltschaft "intensiv im Umfeld" der Zwickauer Zelle. Gesucht werden mögliche Unterstützer oder weitere Mitglieder, sagte ein Sprecher am Montag in Karlsruhe. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte der "Bild"-Zeitung, es setze auf rasche Aufklärung, ob hinter dem schon bekannten Täter-Trio ein größeres Netzwerk stehe. Friedrich forderte zugleich Aufklärung vom Thüringer Verfassungsschutz. Es sei "sehr beunruhigend, dass zwischen der Mordserie in ganz Deutschland und der rechtsextremen Szene in Thüringen kein Zusammenhang erkannt wurde", sagte Friedrich. Sein Sprecher schloss am Montag nach derzeitigem Erkenntnisstand aus, dass Mitglieder des Neonazi-Trios aus Thüringen vom Bundesamt für Verfassungsschutz oder dem Bundeskriminalamt geführt worden sind.



Der Ministeriumssprecher sagte, bei der Neonazi-Mordserie handle es sich um "Rechtsterrorismus". Nach der Bundesanwaltschaft hatte auch der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe die NSU als terroristische Vereinigung eingestuft. Er erließ am Sonntagabend Haftbefehl gegen die 36-jährige Beate Z. wegen dringenden Verdachts der Gründung der NSU und der Mitgliedschaft darin. "Zweck der Vereinigung soll es gewesen sein, aus einer fremden- und staatsfeindlichen Gesinnung heraus vor allem Mitbürger ausländischer Herkunft zu töten", erklärte der BGH-Ermittlungsrichter.



Nach den bisherigen Erkenntnissen sei die NSU für die sogenannten Döner-Morde an acht türkischstämmigen Männern und einem Griechen in den Jahren 2000 bis 2006 und dem Mord an einer Heilbronner Polizistin im April 2007 verantwortlich. Die Mordserie an insgesamt neun ausländischen Ladenbesitzern geschah in Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund und Kassel.



Beate Z. soll zusammen mit den am 4. November nahe Eisenach tot aufgefundenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Gruppierung gegründet haben. Die beiden Männer sollen sich einem "Spiegel"-Bericht zufolge auf einer sichergestellten DVD auch zu einem Bombenanschlag in Köln im Jahr 2004 bekannt haben, bei dem 22 Menschen durch Nägel verletzt wurden. Der am Sonntag in der Nähe von Hannover festgenommene mutmaßliche Komplize des Neonazi-Trios, Holger G., wurde am Nachmittag dem BGH-Ermittlungsrichter in Karlsruhe vorgeführt.