Das Radio hat Geburtstag und wird 100 Jahre alt

Wie sich der Hörfunk in Deutschland veränderte

Ob unter der Dusche oder im Auto: Das Radio begleitet den Alltag. Jetzt wird das Medium, das immer wieder totgesagt wird, 100 Jahre alt. Eine Zeitreise vom Volksempfänger und Propagandamedium bis zum Privatfunk.

Autor/in:
Christoph Arens
Ein historisches Transistorradio steht auf einem Tisch im Newsroom von DOMRADIO.DE / © Harald Oppitz (KNA)
Ein historisches Transistorradio steht auf einem Tisch im Newsroom von DOMRADIO.DE / © Harald Oppitz ( KNA )

Seit 100 Jahren gibt's was auf die Ohren. Am 29. Oktober wird der Rundfunk in Deutschland 100 Jahre alt. Zwar hatten Berliner Radiopioniere bereits im Dezember 1920 ein allererstes weihnachtliches Konzert in den Äther geschickt. Doch als erstes offizielles Programm ging "Die Funkstunde" am 29. Oktober 1923 auf Sendung.

Die Geburt des Radios

"Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400 Meter" - mit dieser Ansage aus einem Dachzimmer, dessen Wände mit Krepppapier und Stoffdecken schalldicht abgehängt waren, vollzog sich die Geburt des neuen Mediums. Die erste Sendung, zu der die Hörer noch Kopfhörer brauchten: Live-Musik und eingespielte Schellackplatten mit Werken von Mozart, Beethoven, Schumann, Mendelssohn.

"Das Radio versammelt lauter Abwesende in einem imaginären Raum", beschreibt Stephan Krass, früherer Literaturredakteur beim SWR, in seinem Buch "Radiozeiten" die Besonderheit des Mediums. Radio verlange von seinen Zuhörerinnen und Zuhörern, sich auf diese Als-ob-Situation einzulassen.

Staatlich gelenkte Unterhaltung und Propaganda

Unterhaltung, Bildung, Information und Propaganda: Der Hörfunk in Deutschland war lange Jahre staatlich gelenkt. Denn nach der Revolution 1918 und den gewalttätigen Konflikten der frühen Weimarer Republik fürchteten die Regierenden, dass der Funke des Protests durch drahtlose Medien auf die Volksmassen überspringen könnte.

Die Industrie wurde verpflichtet, nur Geräte herzustellen, mit denen lediglich ein enger Mittelwellenbereich empfangen und nicht selbst gesendet werden konnte. Die Nazis trieben die staatliche Kontrolle dann auf die Spitze. Die Bundesrepublik versuchte sich demgegenüber mit einer staatsfernen, aber öffentlich kontrollierten Rundfunkordnung.

Das Radio erlebte wilde Anfangsjahre. Bereits am 18. Juni 1925 wurde in Berlin ein Rundfunkorchester gegründet. Am 1. November 1925 gab es die erste Live-Reportage von einem Fußballspiel zwischen Preußen Münster und Arminia Bielefeld. 1930 registrierte man in Deutschland mehr als drei Millionen Radiohörer.

Hitler zog sie zu "Schnauze Goebbels"

Unter den Nationalsozialisten wurde die gerade aufgeblühte Radiolandschaft gleichgeschaltet. Bei Hitler- und Goebbelsreden standen Hunderttausende vor den Lautsprechern stramm - ein Beispiel für die suggestive Macht des Mediums. Mithilfe des Volksempfängers, auch "Goebbels Schnauze" genannt, erreichten die Nazis große Teile der Bevölkerung. Geboten wurde eine Mischung aus Wunschkonzert und Agitation für den totalen Krieg.

Allerdings: Hitler zeigte sich im Aufnahmestudio hilflos; er brauchte Publikum. Seine Stimme rieche "etwas nach Hosenboden", schrieb Kurt Tucholsky schon 1922. "Manchmal überbrüllt er sich, dann kotzt er. Aber sonst: nichts, nichts, nichts. Keine Spannung, keine Höhepunkte, er packt mich nicht."

Vom Volksempfänger zum Entnazifizierungsmedium

Lindbergs erste Atlantiküberquerung 1927, die Brandkatastrophe des Zeppelins "Hindenburg" 1937 oder das WM-Finale 1954 in Bern: Radioreportagen schafften es, Millionen vor den Empfängern zu versammeln. Nach 1945 wurde das Radio zum Bildungs- und Entnazifizierungsmedium. Schriftsteller wie Martin Walser, der als Studioregisseur beim Süddeutschen Rundfunk arbeitete, oder Alfred Andersch prägten das Programm.

Als ab den 60er Jahren handliche Transistorgeräte verkauft wurden, veränderten sich die Hörgewohnheiten. Nun versammelte sich nicht mehr die gesamte Familie abends vor dem schweren Röhrengerät mit dem magischen Auge. Man konnte das Kofferradio mit sich herumtragen, im Garten oder im Schwimmbad Rock'n Roll hören.

Als der Privatfunk auf Sendung ging

Auch die Zahl der Sender vervielfältigte sich: Die in den 1960er Jahren aufkommenden Piratensender durchlöcherten als erste das Verbot von privat betriebenen Radiostationen. In den 80ern ging dann offiziell der Privatfunk auf Sendung und formierte sich zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten der Öffentlich-Rechtlichen. Zunehmend entwickelte sich das Radio zum Nebenbei-Medium, das auch auf Hörerbeteiligung setzt.

Mit dem Siegeszug der Smartphones braucht man kein separates Empfangsgerät mehr. Immer mehr Bundesbürger hören Radio über das Internet. Mancherorts wird schon das Ende des linearen Rundfunkprogramms beschworen. Podcasts ermöglichen ein immer individuelleres Hören. Der Weg zum Publikum läuft auch über spezielle Formate bei TikTok, Instagram und Snapchat.

Quelle:
KNA