Das lösen Großereignisse wie der Weltjugendtag bei uns aus

"Reflektieren, was man erlebt hat"

Große Menschenmassen bei Gottesdiensten, Schlafen in Turnhallen und wenig Privatsphäre. Das erleben Hunderttausend Pilgerinnen und Pilger beim Weltjugendtag in Lissabon. Was machen solche Großevents mit den Teilnehmenden?

Abschlussgottesdienst beim WJT / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Abschlussgottesdienst beim WJT / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Jugendlichen sind in Lissabon viel zusammen in Gruppen unterwegs und besuchen sehr volle Messen. Merken Sie, dass die Jugendlichen damit mental oder emotional auch manchmal überfordert sind?

Sarah Bonk, Diözesanvorsitzende des BDKJs Köln (BDKJ DV Köln)
Sarah Bonk, Diözesanvorsitzende des BDKJs Köln / ( BDKJ DV Köln )

Sarah Bonk (Kölner Diözesanvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, BDKJ, Psychologin): Ja, das gibt es durchaus. Die große Mehrzahl genießt das und freut sich darüber. Aber es gibt auch Einzelne, denen es zu viel wird, die eine Pause brauchen oder einen Rückzugsraum. Das macht sich dann je nach Person unterschiedlich bemerkbar.

Manche ziehen sich in sich selbst zurück. Das heißt, sie werden ruhig, wenden den Blick nach unten und wollen für sich sein. Es gibt andere, die wollen den Raum verlassen oder wollen mit jemandem Vertrautes sprechen. Manche zeigen auch Ängste, werden unruhig, zittern oder weinen vielleicht auch mal. Das ist je nach Person unterschiedlich.

Sarah Bonk

"Gerade junge Leute waren in den vergangenen Jahren sehr viel isoliert. Es gab wenige große Gemeinschaftserlebnisse."

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt da vielleicht auch die Corona-Pandemie, in der die Jugendlichen psychisch belastet waren?

Bonk: Ich glaube, dass es schon eine große Rolle spielt. Gerade junge Leute waren in den vergangenen Jahren sehr viel isoliert. Es gab wenige große Gemeinschaftserlebnisse. Selbst in der Schule sind Klassenfahrten ausgefallen und so weiter.

Nach dieser Zeit gilt es sich jetzt erst recht an große Menschenmassen zu gewöhnen. Auch wenn das eine Herausforderung darstellt, weil man nicht geübt ist.

DOMRADIO.DE: Was kann man beim Weltjugendtag tun, wenn man merkt, dass es einem gerade alles zu viel wird?

Bonk: Das ist ein bisschen schwierig. Aber es gibt an den meisten Orten immer noch ein ruhiges Plätzchen im Schatten, wohin man sich zurückziehen kann. Wichtig ist, dass man sich vorher informiert. Was erwartet mich bei dieser Veranstaltung? Wie viele Menschen kommen? Wo gibt es Toiletten? Wo sind die Ausgänge? An wen kann ich mich wenden, wenn ich mich unwohl fühle?

Papstwillkommen beim Weltjugendtag 2023 / © Elena Hong (DR)
Papstwillkommen beim Weltjugendtag 2023 / © Elena Hong ( DR )

Auch Absprachen in der Gruppe können helfen, dass zum Beispiel ein gemeinsames Outfit getragen wird. So wissen alle: Hier gehöre ich zu. Hier sehe ich vertraute Gesichter. Unsere Kölner Weltjugendtagsgruppe hat dafür einen großen Fahnenmast mit der Köln-Flagge dabei.

DOMRADIO.DE: Trotz dieser Risiken sind Megaevents wie der Weltjugendtag bei jungen Menschen sehr beliebt. Woran liegt das? Gibt es dafür eine Erklärung?

Bonk: Events wie der Weltjugendtag oder auch große Konzerte und so weiter ziehen junge Menschen an. Ich erkläre mir das so, dass junge Menschen dort spüren, dass sie Teil einer großen Gemeinschaft und nicht alleine sind.

Gerade als junge Christ*innen ist es manchmal schwierig zu begründen, warum man noch Teil der katholischen Kirche ist. Beim Weltjugendtag können die Jugendlichen erleben, dass sie Teil eines großen Ganzen sind. Hier geht es nicht darum, was man kann oder weiß, sondern um den Glauben. Das ist ein großes gemeinschaftsgebendes Moment.

Sarah Bonk

"Man neigt dazu, in großen Massen Emotionen extremer auszuleben."

DOMRADIO.DE: Man kann in einer Masse auch untertauchen. Ist man da emotionaler?

Bonk: Das kann gut sein. Man neigt dazu, in großen Massen Emotionen extremer auszuleben. Man ist freudiger als sonst oder auch trauriger, weil man mehr Spielraum hat, weil man als einzelne Person nicht mehr so sehr beobachtet wird, sondern im großen Ganzen aufgeht.

Das birgt auch die Gefahr, sich zu verlieren. Da ist der Schutzraum der eigenen Gruppe aber auch wieder hilfreich. Dadurch, dass man beim Weltjugendtag viele Tage mit der gleichen Gruppe unterwegs ist, lernt man sich gut kennen und hat wieder einen Abgleich zur großen Masse.

Sarah Bonk

"Meine Empfehlung ist, sich erst mal körperlich gut zu erholen, weil solche großen Veranstaltungen auch körperlich anstrengend sind."

DOMRADIO.DE: Und nach dem Weltjugendtag gibt es den gegenteiligen Effekt. Man vermisst die Gemeinschaft. Man fällt wie in ein Loch, weil man plötzlich allein ist. Wie kann man dem vorbeugen?

Bonk: Ja, das kennen viele von Jugendfreizeiten. Wenn man dann nach Hause kommt, ist es erst mal ungewohnt, wieder allein im Zimmer zu schlafen. Nicht ständig von einer großen, lauten Menschenmenge umgeben zu sein.

Meine Empfehlung ist, sich erst mal körperlich gut zu erholen, weil solche großen Veranstaltungen auch körperlich anstrengend sind. Man schläft wenig, isst und trinkt nicht ausreichend. Danach erst mal dem Körper Zeit gönnen, um zur Ruhe zu kommen.

In dieser Zeit kann man dann reflektieren; überlegen, was man alles erlebt hat; Eindrücke sortieren, in Fotos blättern und sich mit Freunden austauschen. Dem Loch vorbeugen kann man, indem man sich für die Zeit nach der Rückkehr etwas vornimmt. Da hilft es sich zu fragen, worauf man sich zu Hause in seinem Alltag freut. Zum Beispiel, das man wieder zu seinem Sport geht, eine Freundin trifft, die man lange nicht gesehen hat.

Außerdem ist wichtig, dass man die Zeit des Events und den Alltag klar abgrenzt. Es gibt Zeiten, wo ich in Erinnerungen schwelge und vielleicht auch ein bisschen wehmütig werde. Es gibt aber auch Zeiten, in denen ich im Hier und Jetzt lebe und meinen Alltag genieße.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Weltjugendtag 2023 in Lissabon

Termine

26.-31. Juli 2023: Tage der Begegnung in Aveiro
1.-6. August 2023 Weltjugendtag in Lissabon

Motto

Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg. – Lk 1,39

Lissabon, Portugal

Fähnchen mit dem Logo des Weltjugendtags 2023 in Lissabon und von Portugal / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Fähnchen mit dem Logo des Weltjugendtags 2023 in Lissabon und von Portugal / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR