Flüchtlingshelferin: Warum ich das Wort Rassismus nicht benutze

"Das ist nur Blabla"

Flüchtlinge vertrauen ihr besonders. Denn die Münchner Malteser-Migrationsberaterin Jeanne-Marie Sindani weiß, was Ausgrenzung bedeutet. Sindani stammt aus dem Kongo und erlebt nach eigener Auskunft jeden Tag Anfeindungen. 

Autor/in:
Christian Michael Hammer
Jeanne-Marie Sindani  / © Christian Hammer (KNA)
Jeanne-Marie Sindani / © Christian Hammer ( KNA )

KNA: Frau Sindani, wie nehmen Sie die aktuelle Debatte um Rassismus, ausgelöst durch den gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA, wahr?

Jeanne-Marie Sindani (Münchner Malteser-Migrationsberaterin): Die Diskussion gibt es seit mindestens 500 Jahren, die Debatte ist absolut nicht neu. Das Problem begleitet uns Afrikaner außerhalb von Afrika das ganze Leben.

KNA: Was bedeutet das?

Sindani: Rassismus ist unser Alltag. Es gibt keinen Tag ohne ihn. Solche Situationen kommen zum Beispiel dort vor, wo wir die meiste Zeit verbringen, bei der Arbeit. In meinem aktuellen Team gibt es das aber im Vergleich zu vorher kaum. In der Vergangenheit wurde ich manchmal behandelt, als wäre ich keine Kollegin, sondern ein Feind, den es zu bekämpfen gilt. Man demonstriert da ganz klar: Wir wollen dich hier nicht und du solltest nicht hier sein. Ich wurde bei meiner früheren Arbeitsstelle in Fürstenfeldbruck andauernd mitten in der Beratung unterbrochen, belästigt; vor den Klienten von Kolleginnen laut beschimpft, provoziert und beleidigt. Trotzdem oder gerade deswegen will man dann seine Arbeit noch besser machen. Da muss man sich über andere Wertschätzung zum Beispiel von Vorgesetzten umso mehr freuen.

KNA: George Floyd wurde wegen seiner Hautfarbe von der Polizei kontrolliert. Racial Profiling heißt das. Wieso gibt es dieses Denken bis heute, dass Schwarze für eher kriminell gehalten werden?

Sindani: Schwarze in den USA sind nicht krimineller als andere Menschen. Und die, die tatsächlich kriminell sind, sind es oft, weil sie schlecht gebildet sind, und das teils über Generationen hinweg. Man hat diese Schwierigkeiten bewusst so kreiert. Die African Americans sind der Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und institutionalisierten Diskriminierung massiv ausgesetzt. Allein wegen ihrer Hautfarbe sind sie im Visier der Polizei.

KNA: Von welchen Rassismus-Erfahrungen berichten Ihre Klienten?

Sindani: Häufig kommen Eltern zu mir und weinen, weil ihre Kinder wegen Mobbing aufgrund ihrer Hautfarbe keine Lust mehr auf die Schule haben. Schwarze Kinder müssen in Europa härter kämpfen in der Gesellschaft. Auch für Erwachsene, die in Afrika großgeworden sind, ist es schwer. Wir kennen diesen Rassismus nicht. Und dann kommt man in ein Land, wo die Leute einem sagen, du bist gar nichts und du kannst nichts. So sehe ich auch in meiner Flüchtlingsarbeit immer wieder, dass osteuropäische Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Afrikaner wegen ihrer Hautfarbe vorgehen.

KNA: Woher kommt diese Ablehnung anders aussehender Menschen?

Sindani: Anderssein ist ganz normal. Alles und jeder ist anders. Sogar eineiige Zwillinge haben Unterschiede. Ich selbst rede nie von Rassismus. Das ist nur Blabla, es gibt ja gar keine menschlichen Rassen. Mit der Debatte spielt man das ganze Problem nur runter. Stattdessen sollte man deutlich sagen, worum es geht: nämlich Unmenschlichkeit. Die ist scheinbar in den Gesellschaften drin und sie ist eine Krankheit. Ausgrenzung findet nicht gegen eine Rasse, sondern schlicht gegen Menschen statt. Zu einer Demonstration gegen Rassismus gehe ich nicht. Bei einem Protest gegen die Unmenschlichkeit, egal gegen wen, wäre ich sofort dabei.

KNA: Was ist nötig, um gegen Unmenschlichkeit vorzugehen?

Sindani: Das Bewusstsein müssen wir ändern. In der Erziehung muss die Mentalität von «Anderssein ist normal» vermittelt werden. Anwenden müssen wir das dann in der Wahrnehmung unseres Gegenübers. Einstellungen werden vorgelebt. Auch von den Medien hört man nur Armut und Probleme, wenn es um Afrika geht, aber selten, welches Potenzial dieser Kontinent mit seinen Menschen hat. All die Autos, Handys und Technik bei uns gibt es nur, weil Afrika etwas gibt. Im Kongo zum Beispiel gehen Kinder deshalb nicht zur Schule, weil sie etwa im Bergbau arbeiten müssen.


Quelle:
KNA